Ein sich wiederholender Radiostrahlungsausbruch aus einer Spiralgalaxie

Lokalisierung einer neuen Quelle wiederholt auftretender Radioblitze vertieft das Rätsel ihres Ursprungs

Das 100-m-Radioteleskop Effelsberg ist an einer Beobachtungskampagne zur Untersuchung eines sich wiederholenden schnellen Radiostrahlungsausbruchs (ein Beispiel für die mysteriösen Fast Radio Bursts oder FRBs) beteiligt, mit der es möglich wurde, den Ursprung des Ausbruchs in einer Spiralgalaxie ähnlich unserer Milchstraße zu lokalisieren. Entscheidend für dieses Projekt waren sowohl die Empfindlichkeit des 100-m-Teleskops als auch sein flexibles Pulsar-Analyseinstrument, mit dem eine schnelle Lokalisierung der Radioposition möglich wurde. Dieser FRB hat von allen bisher identifizierten den geringsten Abstand zur Erde und wurde in einer Umgebung aufgespürt, die sich deutlich von denen für vorhergehende FRBs gefundenen unterscheidet. Das aktuelle Resultat führt wiederum dazu, dass die Forscher ihre Annahmen über den Ursprung dieser rätselhaften extragalaktischen Ereignisse überprüfen müssen.

Ein internationales Forscherteam, zu dem auch Ramesh Karuppusamy vom Bonner Max-Planck-Institut für Radioastronomie gehört, veröffentlicht die Ergebnisse in der aktuellen Ausgabe der Wissenschaftszeitschrift „Nature”.

Eines der größten Rätsel in der aktuellen astronomischen Forschung ist der Ursprung von extrem kurzen heftigen Radiostrahlungsausbrüchen, die als „Fast Radio Bursts” oder FRBs bezeichnet werden. Obwohl sie nur für Millisekunden sichtbar werden, hat man inzwischen Hunderte von Beobachtungen dieser rätselhaften Quellen. Aber lediglich für vier bisher gefundene FRBs ist auch eine genauere Position am Himmel bekannt und deren wahrscheinlicher Ursprung lokalisiert.

Im Jahr 2016 wurde bei einer dieser vier Quellen beobachtet, dass sich die Radiostrahlungsausbrüche wiederholen; sie kommen in nicht vorhersagbarer Weise aus der gleichen Region am Himmel. Im folgenden unterschieden die Forscher zwischen FRBs mit lediglich einem beobachteten Radiostrahlungsausbruch („non-repeating”) und solchen, für die gleich mehrere dieser Ausbrüche beobachtet werden konnten („repeating”).

„Die wiederholten Ausbrüche, die wir beim ersten identifizierten Repeater beobachten konnten, kommen aus sehr speziellen und extremen Bedingungen im Inneren einer  massearmen Zwerggalaxie”, sagt Benito Marcote vom „Joint Institute for VLBI ERIC”, der Erstautor der vorliegenden Untersuchung. „Diese Entdeckung markierte das erste Fundstück in einem Puzzle, aber sie warf auch neue Fragen auf wie zum Beispiel nach dem fundamentalen Unterschied zwischen „Repeatern” und „Non-Repeatern”. Jetzt haben wir eine zweite Quelle dieser wiederholten Radiostrahlungsausbrüche lokalisiert und können unsere vorherigen Annahmen über den Ursprung dieser Ausbrüche überprüfen.”

Am 19. Juni 2019 haben acht Radioteleskope im Rahmen des Europäischen VLBI-Netzwerks (EVN) gleichzeitig eine Radioquelle beobachtet, die unter der Bezeichnung FRB 180916.J0158+65 bekannt ist. Die Quelle war ursprünglich bereits im Jahr 2018 mit dem

CHIME-Radioteleskop in Kanada entdeckt worden. Mit dem EVN konnten die Wissenschaftler eine Messung mit sehr hoher Winkelauflösung in Richtung von

FRB 180916.J0158+65 durchführen. Während der fünf Stunden dauernden Beobachtung entdeckten die Forscher vier Strahlungsausbrüche, die jeweils weniger als zwei Millisekunden lang dauerten. Die erreichte Auflösung mit der Verbindung von Radioteleskopen über die ganze Erde hinweg und einer Beobachtungsmethode, die unter dem Namen „Very Long Baseline Interferometry” (VLBI) bekannt ist, bedeutete, dass die Position des Strahlungsausbruchs in der Galaxie auf eine Region von lediglich sieben Lichtjahren Ausdehnung festgelegt werden konnte. Das ist eine Genauigkeit, die der Lokalisierung eines einzelnen Menschen auf dem Mond von der Erde aus entspricht.

Das 100-m-Radioteleskop Effelsberg des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie (MPIfR) spielte gleich in zweierlei Hinsicht eine entscheidende Rolle bei der Durchführung dieser Beobachtungen. Zum einen wurde mit den flexiblen (Pulsar-) Instrumenten am Teleskop Daten für eine sehr schnelle Identifikation der Radiostrahlungsausbrüche gewonnen, die als Input für die hochaufgelösten Radiobeobachtungen wichtig waren. Zum anderen war die große Sammelfläche und damit Empfindlichkeit dieses Teleskops unverzichtbar für die koordinierten Interferometriebeobachtungen sehr schwacher Quellen wie diesem FRB.

Mit der präzisen Position der Radioquelle wurde es nun möglich, optische Beobachtungen dieses Bereichs am Himmel bei hoher Auflösung mit einem der größten optischen Teleskope der Erde, dem 8-m-Gemini-Nord-Teleskop auf dem Mauna Kea in Hawaii durchzuführen. Die genaue Radioposition zeigt, dass die Strahlungsausbrüche aus einer Spiralgalaxie mit der Bezeichnung SDSS J015800.28+654253.0 kommen, die ungefähr eine halbe Milliarde Lichtjahre von der Erde entfernt liegt. Genauer gesagt, kommen die Ausbrüche aus einer Region innerhalb dieser Galaxie, in der starke Sternentstehungsaktivität stattfindet.

„Die ermittelte Position in der Galaxie ist deutlich anders als bei dem vorher bereits identifizierten „Repeater”, sie unterscheidet sich aber auch von allen anderen bisher untersuchten FRBs”, erklärt Kenzie Nimmo, eine Doktorandin an der Universität Amsterdam und Ko-autorin der Untersuchung. „Die Unterschiede zwischen „Repeatern” und „Non-Repeatern” werden damit weniger eindeutig und wir nehmen an, dass diese Ereignisse nicht an einen bestimmten Typ von Galaxie oder Umgebung innerhalb einer Galaxie gebunden sind. Es mag durchaus sein, dass FRBs in einer großen Vielfalt von Umgebungen im Universum auftreten und dass es spezielle Bedingungen braucht, um sie nachweisbar zu machen.”

„Mit den vorliegenden Ergebnissen wird es zunehmend unwahrscheinlich, dass die sich wiederholenden FRBs auf sehr starke Signale von Radiopulsaren zurückzuführen sind”, sagt Ramesh Karuppusamy vom MPIfR, ebenfalls Ko-autor der vorliegenden Untersuchung. „Wir sind an der Schwelle, mit neuen noch empfindlicheren Radioteleskopen weitere FRBs zu lokalisieren und damit schließlich die wahre Natur dieser Quellen herauszufinden.”

Während die aktuelle Untersuchung Zweifel an vorherigen Annahmen über FRBs weckt, ist es auf jeden Fall der FRB mit dem geringsten Abstand zur Erde, der bisher lokalisiert werden konnte. Dadurch wird eine sehr detaillierte Untersuchung dieses Phänomens möglich.  

„Wir hoffen, dass die Fortsetzung unserer Untersuchungen schließlich die Bedingungen für die Entstehung solch rätselhafter Radioastrahlungsausbrüche aufzeigt. Unser Ziel ist es, weitere FRBs genau zu lokalisieren und letztendlich auch ihren Ursprung verstehen zu können”, schließt Jason Hessels, vom Niederländischen Institut für Radioastronomie (ASTRON) und der Universität Amsterdam.

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Warum die Lokalisierung von „Fast Radio Bursts” (FRBs) wichtig ist

Während „Fast Radio Bursts” (FRBs) nach wie vor ein Rätsel darstellen, kann ihre Untersuchung zu einem tieferen Verständnis des Universums selbst führen. In der modernen Kosmologie ist es eine entscheidende Frage, wie sich Strukturen auf allen Größenskalen gebildet haben. Es bedarf aufwändiger Computersimulationen, um Antworten auf diese Fragen zu finden, wobei die Ergebnisse stark von den angenommenen Anfangsbedingungen abhängen. Die Resultate der Simulationen müssen mit tatsächlichen Beobachtungen verglichen werden, um sicherzustellen, dass sie auch genaue Antworten liefern. Das Ganze ist problematisch, weil der überwiegende Teil der in Galaxien verteilten Materie unsichtbar bleibt.

Hier könnten nun FRBs in Zukunft eine elegante Lösung für dieses Problem liefern. Die beobachteten extrem kurzdauernden Pulse von FRBs sind „dispergiert”, d.h., die Ankunftszeit der Pulse bei längeren Wellenlängen ist geringfügig später als bei kürzeren Wellenlängen. Diese Zeitverzögerung kann extrem genau vermessen werden und sie liefert eine indirekte Abschätzung über die Gesamtmenge von Materie zwischen Quelle und Erde. Wenn nun Tausende von FRBs in allen Richtungen gefunden werden, wird es möglich, darüber die Verteilung von Materie im Universum zu kartieren. Um allerdings auch die tatsächliche dreidimensionale Verteilung der Materie im Kosmos zu erfassen, müssen die Astronomen die Entfernung der jeweiligen FRBs von der Erde bestimmen.

Wie lokalisiert man einen „Fast Radio Burst” (FRB)?

Die meisten bisher entdeckten FRBs sind mit Einzelteleskopen in Radiowellen aufgespürt worden, die nur eine ungefähre Richtung für den Ursprung des FRBs am Himmel liefern können. Mit der Anwendung der „Very Long Baseline Interferometry” (VLBI) ist nun ein neuartiger Ansatz dafür möglich.

Zur Zeit ist das Europäische VLBI-Netzwerk (EVN) das einzige Netzwerk weltweit, das genügend Empfindlichkeit bereitstellt, um FRBs zu untersuchen. Dadurch können die Astronomen sowohl die Ursprungsgalaxie für den Strahlungsausbruch identifizieren als auch die direkte lokale Umgebung innerhalb der Galaxie selbst. Zusätzliche Beobachtungen der Galaxie in optischen Wellenlängen ermöglichen die Bestimmung des Abstands von der Erde. Die Untersuchung der direkten Umgebung des Strahlungsausbruchs innerhalb der Galaxie ist entscheidend, um herauszufinden, wie die FRBs entstehen und welche extragalaktischen Objekte damit in Verbindung gebracht werden können.  

„Für die weitere Enthüllung der Rätsel der FRBs müssen wir diese Quellen unglaublich detailliert untersuchen. Die kombinierte Empfindlichkeit unserer Radioteleskope im Rahmen des EVN-Netzwerks gibt uns eine im Moment einzigartige Möglichkeit, diese Phänomene zu beobachten und wir hoffen, dass die zukünftigen Beobachtungen zum Verständnis dieser rätselhaften Quellen beitragen”, sagt Francisco Colomer, Direktor des Joint Institute for VLBI ERIC.

Beteiligte Institute und Teleskope

Hochaufgelöste Radiobeobachtungen wurden im Rahmen des Europäischen Very Long Baseline Interferometry Network (EVN) durchgeführt. Das EVN ist das weltweit empfindlichste VLBI-Netzwerk für detaillierte Beobachtungen kosmischer Radioquellen. Die gewonnenen Daten werden am „Joint Institute for VLBI ERIC” (JIVE) in den Niederlanden analysiert.

Insgesamt acht Radioteleskope wurden im Rahmen des EVN-Netzwerks eingesetzt: das 25x38-m Jodrell Bank Mark2 der Universität Manchester (Gr0ßbritannien), eine 25-m Antenne des Westerbork-Teleskops von ASTRON in den Niederlanden, das 100-m-Radioteleskop Effelsberg des Bonner Max-Planck-Instituts für Radioastronomie, das 32-m-Radioteleskop Medicina des National Institute for Astrophysics in Italien, das 25-m-Radioteleskop Onsala des Onsala Space Observatory in Schweden, das 32-m-Radioteleskop  Toruń der Nicolaus Copernicus University in Polen, das 32-m-Radioteleskop Irbene, des Ventspils International Radio Astronomy Centre in Lettland, sowie das 65-m-Radioteleskop Tianma, Chinese Academy of Sciences nahe Shanghai in China.

Die nachfolgenden optischen Beobachtungen wurden mit dem 8,1-m-Teleskop Gemini North des National Science Foundation’s National Optical-Infrared Astronomy Research Laboratory und der Association of Universities for Research in Astronomy auf dem Mauna Kea in Hawaii durchgeführt.

Die Autoren der aktuellen Untersuchung umfasnen B. Marcote, K. Nimmo, J. W. T. Hessels, S. P. Tendulkar, C. G. Bassa, Z. Paragi, A. Keimpema, M. Bhardwaj, R. Karuppusamy, V. M. Kaspi, C. J. Law, D. Michilli, K. Aggarwal, B. Andersen, A. M. Archibald, K. Bandura, G. C. Bower, P. J. Boyle, C. Brar, S. Burke-Spolaor, B. J. Butler, T. Cassanelli, P. Chawla, P. Demorest, M. Dobbs, E. Fonseca, U. Giri, D. C. Good, K. Gourdji, A. Josephy, A. Yu. Kirichenko, F. Kirsten, T. L. Landecker, D. Lang, T. J. W. Lazio, D. Z. Li, H.-H. Lin, J. D. Linford, K. Masui, J. Mena-Parra, A. Naidu, C. Ng, C. Patel, U.-L. Pen, Z. Pleunis, M. Rafiei-Ravandi, M. Rahman, A. Renard, P. Scholz, S. R. Siegel, K. M. Smith, I. H. Stairs, K. Vanderlinde and A. V. Zwaniga mit Ramesh Karuppusamy als Ko-autor vom MPIfR.

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