Kühles Gas und heiße Sterne



Entwicklung und Ergebnisse von molekülspektroskopischen Untersuchungen extragalaktischer Objekte

Sterne entstehen in kalten Molekülwolken. Deren räumliche Verteilung bestimmt nicht nur die Verteilung der nächsten Generation junger Sterne sondern auch Gesamthelligkeit und Farbe eines Sternsystems mit Milliarden von Sonnen. Die Kenntnis dieser Verteilung sowie der physikalischen und chemischen Eigenschaften des molekularen Gases sind daher Voraussetzung für unser Verständnis von Galaxienentwicklung, Sternentstehung und "Aktivität" galaktischer Kerne. Es folgen ein kurzer historischer Abriß, eine Skizze der beobachteten großräumigen Verteilungen, eine Beschreibung des Megamaserphenomens in aktiven galaktischen Kernen sowie eine vorläufige Bilanz zur Suche nach "Protogalaxien".

Eine kurze Geschichte der extragalaktischen Molekülspektroskopie

Kühle interstellare Gaswolken mit Temperaturen in der Nähe des absoluten Nullpunkts (-273 Grad Celsius) und Teilchendichten von 102 bis 106 pro Kubikzentimeter (das sind 13 bis 17 Größenordnungen weniger als die in Meereshöhe gemessenen atmosphärischen Werte) können dank der Entwicklung der Molekülspektroskopie im Radiobereich des elektromagnetischen Spektrums seit Anfang der siebziger Jahre systematisch untersucht werden. Die für atmosphärische Verhältnisse extrem diffusen, für interstellare Verhältnisse dagegen äußerst dichten Wolken sind sehr ausgedehnt, besitzen ausgeprägte räumliche Substruktur und können Durchmesser von mehr als 100 Lichtjahren erreichen. "Riesenmolekülwolken" mit etwa 105Sonnenmassen sind in der Milchstraße keine Seltenheit. Hier stellt sich natürlich sofort die Frage, ob derartig ausgedehnte massereiche Gaswolken nur in unserem Sternsystem existieren können. Zumindest bei "normalen" Elementhäufigkeiten ist das Vorhandensein von Molekülwolken entscheidende Voraussetzung für die Bildung neuer Sterne. Da junge Sterne auch in anderen Galaxien beobachtet werden, liegt es nahe, auch dort Molekülwolken zu vermuten.

Um den großen Sprung von galaktischen zu extragalaktischen Objekten richtig einzuschätzen, sollten wir uns zunächst den großen Entfernungsunterschied vergegenwärtigen. Während charakteristische Distanzen auffälliger galaktischer Molekülwolken zwischen 500 und 30000 Lichtjahren liegen, befinden sich nahegelegene Galaxien mit starker molekularer Komponente in einer typischen Entfernung von 10 Millionen Lichtjahren. Wenn wir jetzt noch berücksichtigen, daß die Helligkeit einer Wolke mit dem Quadrat ihres Abstandes reduziert wird, kommen wir auf Helligkeitsunterschiede von mehr als fünf Größenordnungen (> 105)! Neue Teleskope, vor allem aber zahlreiche Verbesserungen in der Empfängertechnologie haben in den letzten Jahrzehnten die astronomischen Möglichkeiten im dm-, cm- und mm-Wellenbereich entscheidend erweitert.

Schon zu Anfang der siebziger Jahre, also zu einer Zeit in der die intensive Erforschung galaktischer Molekülwolken gerade erst begann, gelangen - trotz der großen Entfernungen - erste extragalaktische Entdeckungen. Diese frühen Erfolge beruhen auf einem Kunstgriff, der die Nachteile großer Entfernungen auf geschickte Weise umgeht. Die Intensität der Absorptionslinien in Richtung auf starke extragalaktische Radiokontinuumquellen hängt von ihrer optischen Tiefe und der Intensität des absorbierten Radiokontinuums ab. Der erste Parameter ist entfernungsunabhängig. Radioquellen großer Stärke gibt es sowohl in geringer als auch in großer Entfernung. Auf diese Weise wurde schon 1971 am California Institute of Technology das Hydroxylradikal OH in den Galaxien NGC 253 und M82 nachgewiesen. Extragalaktisches Formaldehyd (H2CO) wurde einige Jahre später auf ähnliche Weise von einer australischen Gruppe gefunden (siehe Tabelle 1). Ein Nachteil derartiger Untersuchungen soll hier nicht verschwiegen werden: die Messungen sind auf das relativ kleine Raumvolumen unmittelbar vor der normalerweise sehr kompakten Kontinuumquelle beschränkt.


Tabelle: Entdeckung von Moleküllinien in Galaxien
 

Molekül Jahr der Entdeckung Wellenlänge Zahl der beobachteten Galaxien Art der Spektrallinien a) Teleskop b)
OH 1971 18 cm ~ 100 M, A Owens Valley, USA
H2CO 1974 6,2 cm ~ 10 M, QTE, A Parkes 64 m, Australien
CO 1975 2,6 mm ~ 1.000 QTE, A Kitt Peak 12 m, USA
H2O 1977 1,3 cm ~ 25 M Effelsberg 100 m
HCN 1977 3,4 mm ~ 35 QTE, A Kitt Peak 12 m, USA
H2 1978 2,1 µm ~ 70 QTE
NH3 1979 1,3 cm 2 QTE, A Effelsberg 100 m
HCO+ 1979 3,4 mm ~ 30 QTE, A Bell Labs 7 m, USA
CH 1980 9,1 cm 8-9 M, QTE, A Parkes 64 m, Australien
CS 1985 3,1 mm ~ 30 QTE, A Bell Labs 7 m, USA
C3H2 1986 1,6 cm 4 QTE, A Green Bank 43 m, USA
CH+ 1987 0,42 µm 1 A ESO, Chile
CH3OH 1987 3,1 mm 5 QTE IRAM 30 m, Spanien
CN 1988 2,7 mm 8 QTE, A IRAM 30 m, Spanien
C2H 1988 3,4 mm 7 QTE IRAM 30 m, Spanien
HNC 1988 3,3 mm 15 QTE IRAM 30 m, Spanien
HC3N 1988 3,3 mm 3 QTE IRAM 30 m, Spanien
HNCO 1989 3,4 mm 3 QTE IRAM 30 m, Spanien
SO 1991 3,0 mm 4 QTE Onsala 20 m, Schweden
N2H+ 1991 3,2 mm 6 QTE IRAM 30 m, Spanien
SiO 1991 3,5 mm 2 QTE IRAM 30 m, Spanien
CH3C2H 1991 2,9 mm 2 QTE IRAM 30 m, Spanien
CH3CN 1991 3,3 mm 2 QTE IRAM 30 m, Spanien
OCS 1995 3,2 mm 2 QTE IRAM 30 m, Spanien

a) M = Maser; QTE = Quasithermische Emission; A = Absorption
b) IRAM = Institute de Radioastronomie Millimetrique


Der entscheidende Durchbruch erfolgte 1975 mit der Entdeckung des Kohlenmonoxids (CO) in NGC 253 und M82. Die beobachtete Linie bei Lambda = 2.6 mm emittiert "quasithermisch", d.h. die Linienintensitäten werden nicht von einer im Hintergrund stehenden Radioquelle, sondern von der Temperatur des molekularen Gases selbst bestimmt. Hier gelang zum ersten Mal der Nachweis eines Moleküls in einem extragalaktischen System bei voller Gültigkeit der reziproken quadratischen Beziehung zwischen Helligkeit und Entfernung. Damit war es nun, zumindest im Prinzip, erstmals möglich, die Verteilung und Masse dieser "neuen" mit der Sternentstehung eng verknüpften Gaskomponente quantitativ zu erfasssen.

Der Erfolg bei der Suche nach extragalaktischem CO war nicht zufällig: CO gehört in der Milchstraße zu den häufigsten interstellaren Molekülen, ist vergleichsweise stabil, kann bei allen relevanten Dichten beobachtet werden und besitzt die stärksten Linien im mm-Wellenbereich. Wolken, in der 2.6mm CO Linie kartiert, erscheinen daher besonders ausgedehnt. Dies ist entscheidend, da bei den eingangs erwähnten niedrigen Wolkentemperaturen (etwa -270 bis -150 Grad Celsius) nur dann ein quasithermisches Signal zu beobachten ist, wenn ein wesentlicher Teil des mit der Teleskopkeule überdeckten Himmelsareals auch tatsächlich Linienstrahlung aussendet. In den folgenden Jahren konnte dann auch quasithermische Emission von HCN (Blausäure) und HCO+ (Formylkation) nachgewiesen werden. Um letztere Moleküle "sehen" zu können, sind wesentlich höhere Dichten erforderlich (104 statt 102 Teilchen pro Kubikzentimeter). Da solche Dichten nur selten erreicht werden, sind die HCN und HCO+ Emissionlinien auf kleinere Volumina beschränkt; die Linien sind dementsprechend 10 bis 100 mal schwächer. 

Trotz dieser Erfolge konnten in den siebziger Jahren nur vereinzelte molekulare Stichproben vorgenommen werden. Erst seit Beginn der achziger Jahre wird CO in verschiedenen Klassen von Galaxien systematisch beobachtet. Zahlreiche Spiralgalaxien wurden von einer amerikanischen Gruppe am FCRAO (Five College Radio Astronomy Observatory) gemessen; seit Mitte der achziger Jahre werden auch "IRAS" Galaxien, Objekte mit starker Staubemission im fernen Infrarot, systematisch beobachtet. Nicht nur Spiralgalaxien, sondern auch elliptische (z.B. Cen A) und einige irreguläre Galaxien wurden beobachtet. Parallel dazu wurde von einer Gruppe am Max-Planck Institut für Radioastronomie in Bonn die Zahl der extragalaktisch nachgewiesenen Moleküle mit dem 30m-IRAM-Teleskop auf 24 erhöht (Tabelle 1) . Eine Analyse dieser Daten führte zu wesentlichen Beiträgen zur chemischen und physikalischen Beschaffenheit des Gases.

Großräumige Verteilung

Wenn wir annehmen, daß die CO Intensitäten direkt mit der Menge des molekularen Materials korreliert sind, ergibt sich unabhängig vom Galaxientyp ein eindeutiger Befund: Die Verteilung des molekularen Gases beschränkt sich auf die inneren Bereiche. In Spiralgalaxien wird CO meist nur im inneren Viertel der optisch sichtbaren Galaxie beobachtet, wobei die CO Emission den Spiralarmen zu folgen scheint. Offenbar ist unsere Milchstraße in dieser Hinsicht nicht ungewöhnlich. Von innen nach außen gehend, zeigt sie starke CO Emission im Zentrum (bis zu einer radialen Distanz von etwa 1500 Lichtjahren), eine breite "CO-Lücke" und einem Molekülring (bei etwa 15000 Lichtjahren), der schon in Sonnenentfernung (25000 Lichtjahre) nur noch schwach ausgeprägt ist. Bei Sc Spiralen beobachten wir starke CO Emission im Zentrum, die nach außen hin schnell schwächer wird. Die Verteilung der Sb Galaxien kann ähnlich sein; mitunter wird aber ein molekularer Ring beobachtet, während CO im Zentrum nicht beobachtet wird. Ein klassiches Beispiel für eine derartige Verteilung war der Andromedanebel (M31), das größte Objekt unserer lokalen Gruppe. Hier existiert ein CO-Ring bei einem Radius von etwa 20000 Lichtjahren. Inzwischen wurde aber auch im Zentrum molekulares Gas nachgewiesen. Die CO Leuchtkraft dieser "neuen" Komponente ist sehr gering. Aufgrund ganz ungewöhnlicher Anregungsbedingungen wäre es aber voreilig, in diesem Fall auf eine niedrige Masse zu schließen.

In Galaxien frühen Typs (S0 und elliptischen Galaxien) wurde das molekulare Gas in vielen Fällen von Nachbargalaxien akkretiert. Darauf weisen sowohl ein Mangel an Korrelation zwischen stellarer und interstellarer Masse als auch Anomalien in der Radialgeschwindigkeitsstruktur hin. Wesentlich ist hier, daß die Effektivität mit der in Moleküwolken Sterne entstehen nicht von der Existenz von Spiralarmen abhängt. Eine weiterer interessanter Punkt ist die räumliche Beziehung zwischen den aus dem Kern leuchtkräftiger (elliptischer) Radiogalaxien herausschießenden "Radiojets" und den mitunter Teile der Galaxien bedeckenden Staubstreifen und Ringen. Die durch die Staubringe definierten Ebenen liegen senkrecht zu den Jets, d.h. die Rotationsachsen der Staubringe orientieren sich (anti-) parallel zur Jetrichtung (die Radiogalaxie Cen A ist ein Paradebeispiel für diesen Zusammenhang). Wir können vermuten, daß ein Teil des Materials der oft weit außen liegenden Staubringe in das Zentrum gelangt ohne die Erinnerung an seinen Drehsinn zu vollständig zu verlieren. Das in das Zentrum fließende Material mag dann zusammen mit einem dort befindlichen supermassiven Objekt für die beobachteten kompakten Radioquellen mit assoziierten Jets verantwortlich sein.

Ein ebenfalls interessantes Bild zeigen Galaxien, die fast ihre gesamte Energie im fernen Infrarot abstrahlen und dabei die 100-fache Helligkeit unserer schon recht leuchtkräftigen Milchstraße erreichen. Es handelt sich hier um kollidierende Sternsysteme, deren in das gemeinsame Zentrum fallende Gas und Staubmassen einen sogenannten "Starburst" mit extrem hohen Sternentstehungsraten induzieren. Die neu gebildeten massereichen und z.T. extrem leuchtkräftigen Sterne heizen den Staub und indirekt auch das Gas auf ungewöhnlich hohe Temperaturen auf. Da schon ein geringer Anstieg der Temperatur zu einer wesentliche Erhöhung der abgestrahlten Energie führt, können wir diese Galaxien als Leuchttürme im "nahen" Universum betrachten. Die nahsten Galaxien dieses Typs besitzen Rotverschiebungen von mehr als 3000 km/s Interessant ist, daß die vom aufgeheizten Staub herrührende Emission im fernen Infrarot sowie die damit assozierten Molekülwolken meist auf die zentralen 3000 Lichtjahre beschränkt bleiben.

Mega- und Gigamaser

In extragalaktischen Objekten können zahlreiche Phenomene beobachtet werden, die es in dieser Form in unserer Milchstraße nicht gibt. Dazu gehören z.B. die morphologische Vielgestaltigkeit von irregulären, elliptischen und Spiralgalaxiem, kollidierende Galaxienpaare und Galaxien mit extrem hellen Kernen (Quasare). Führt auch die Beobachtung von extragalaktischen Moleküwolken zu Überraschungen, zur Entdeckung unvorhersehbarer Phenomene? Wie fast immer, wenn wissenschaftliches Neuland betreten wird, können wir auch hier die Frage mit einem klaren "Ja" beantworten.

Im Gegensatz zur Luft, die wir atmen, sind die Dichten des interstellaren Mediums normalerweise zu gering, um "thermodynamisches Gleichgewicht" zu erreichen, bei dem Linienintensitäten und kinetische Temperatur gekoppelt sind. Während interstellares CO diesem Gleichgewicht zumindest noch nahekommt, werden bei anderen chemischen Verbindungen starke Anregungsanomalien beobachtet. Einige Spektrallinien besitzen extrem niedrige Anregung und werden daher fast immer in Absorption beobachtet. Andere Linien sind extrem hoch angeregt und können, bei ausreichend hoher optischer Tiefe, als Maser mit enormen Linienstärken beobachtet werden. Maser (das Mikrowellenäquivalent zum Laser) sind in der Lage, die Strahlung einer Hintergrundquelle bzw. ihre eigene Strahlung frequenz- und phasentreu zu verstärken. Zahlreiche Hydroxyl- (OH), Wasserdampf- (H2O), Siliziummonoxid- (SiO) und Methanolmaser (CH3OH ) werden in der Milchstraße in Sternentstehungsgebieten und in den Hüllen roter Riesen beobachtet.

Ende der siebziger Jahre gelang einer brasilianischen Gruppe die Entdeckung eines extragalaktischen H2O Masers, der etwa hundertfach leuchtkräftiger ist als die hellste bekannte Quelle der Milchstraße. Am 300-m-Teleskop in Arecibo (Puerto Rico) wurde anfang der achziger Jahre ein erster extragalaktischer OH-Maser gefunden. Dieser war etwa 50000 mal heller als die hellsten der Milchstraße. Inzwischen kennen wir noch viel hellere Maserquellen, mit Rotverschiebungen bis zu z = 0.2. Wenn wir isotrope Emission annehmen, werden in den extremsten Quellen, den "Gigamasern", 10000 Sonnenleuchtkräfte in einer einzigen Spektrallinie emittiert! Schon bald wurde klar, daß diese extrem leuchtkräftigen Maser mit den in der Milchstraße beobachteteten nicht verwandt sind: Es handelt sich um Strahlung aus den Kerngebieten aktiver Galaxien.

Um uns möglichst kurz zu fassen, schauen wir uns hier nur eine einzige Megamaserquelle genauer an. Vielleicht das interessanteste Beispiel ist die optisch ganz normal aussehenede Spiralgalaxie NGC 4258. Erst Karten im Radiokontinuum machen deutlich, daß es mit dieser Normalität nicht weit her sein kann : Das System besitzt Radioarme, die zwar wie Spiralarme aussehen, aber zwischen den optischen Spiralarmen liegen. Offenbar handelt es sich um ausgedehnte aus dem Kernbereich stammende Radiojets. Die H2O Maseremission wird bei der systemischen Geschwindigkeit der Galaxie und bei +/- 850 km/s beobachtet , wobei die systemischen Komponenten mit einer Beschleunigung von 10 km/s pro Jahr in den rotverschobenen Bereich driften. Ständig entstehen dort neue Komponenten, die nach etwa 20 Jahren den zentralen Geschwindigkeitsbereich verlassen und dann wieder unsichtbar werden. Messungen mit den Teleskopen in Haystack und Effelsberg sowie interferometrische Messungen mit langen Basislängen zeigen nun, daß die Maser eine Keplerscheibe markieren, die mit einer Geschwindigkeit von fast 1000 km/s in einem Abstand von etwa 0.5 Lichtjahren um den Kern der Galaxie kreist (das entspricht wenigen Millibogensekunden . Die innerhalb dieses Rings befindliche Masse beträgt 30 Millionen Sonnenmassen! Dies ist einer der direktesten Hinweise auf massereiche kompakte Objekte in galaktischen Kernen. Ob es sich hierbei um ein supermassives schwarzes Loch handelt, bleibt allerdings noch offen.

Protogalaxien

Sterne werden, zumindest in der Milchstraße, aus dem Material der Molekülwolken gebildet. Es liegt daher nahe, auch bei der Entstehung ganzer Galaxien aus riesigen kollabierenden Gaswolken große Mengen molekularen Materials zu vermuten. Ist die Beobachtung von CO vielleicht das beste Mittel um derartige "Protogalaxien" zu finden? Die Suche nach diesen Objekten entwickelt sich derzeit in zwei verschiedene Richtungen: Zum einen werden bei Zusammenstößen zwischen Galaxien große Gasmassen in den intergalaktischen Raum geschleudert. Aus diesen können sich dann Zwerggalaxien bilden. Diese theoretisch geforderte Entwicklung sollte auch in nahegelegenen Sternsystemen zu beobachten sein. Da das Material für die neuen, relativ massearmen Galaxien von ihren großen wechselwirkenden Vorgängern stammt, sollte die Zusammensetzung des Gases reich an "Metallen" sein und der des Sonnensystems ähneln. Damit stehen ausreichende Mengen an Kohlenstoff und Sauerstoff zur Bildung von CO zur Verfügung. Vor wenigen Jahren galang es tatsächlich, eine derartige Molekülwolke aufzuspüren: Mit 10 Millionen Lichtjahren Entfernung ist die M81 Gruppe im großen Bären, die auch M82 enthält, die nahste, die über zahlreiche direkt miteinander wechselwirkende Galaxien verfügt. Mehrere Sternsysteme sind über Brücken neutralen Wasserstoffs (HI) direkt miteinander verbunden. Und genau hier konnte eine Riesenmolekülwolke identifiziert werden (Durchmesser: 1000 Lichtjahre, Masse: 1 bis 10 Millionen Sonnenmassen. Eine meßbare stellare Komponenente ist mit dieser Wolke nicht verbunden. Es ist aber sicherlich keine wilde Spekulation, wenn wir vermuten, daß sich eine solche Komponente während der nächsten 106Jahre bilden wird.

Die andere Schiene, auf der wir Protogalaxien zu finden hoffen, weist weit in die Tiefen des Universums. Da wir wegen der endlichen Lichtgeschwindigkeit mit wachsender Entfernung immer weiter in die Vergangenheit zurücksehen, sollte die Zeit, in der die großen Sternsysteme entstanden sind, mit einer bestimmten Rotverschiebung verbunden sein. Ist die Entstehung großer Galaxien mit Infrarot- und CO Helligkeiten verbunden, die die schon erwähnten "Starburst-Galaxien" noch übertreffen? Bei Rotverschiebungen von etwa z = 5 sollte die Infrarotstrahlung solcher Objekte im bis in den mm-Wellenbereich gewandert sein und auch ohne Verwendung von Satelliten von der Erde aus beobachtbar sein. Tatsächlich sind in den letzten Jahren einige Objekte mit Rotverschiebungen bis zu z = 4.7 im mm-Wellen Kontinuum gefunden worden. Zusätzlich kennen wir drei Galaxien mit Rotverschiebungen größer als z = 2, die auch CO enthalten: F10214+4724 bei z = 2.23, den "Kleeblattquasar" bei z = 2.56 und BR1202-0725 bei z = 4.69. Im Fall der zuerst entdeckten Quelle, F10214+4724, wurde zunächst vermutet, daß ihre gigantische, Starburst-Galaxien in den Schatten stellende Infrarot- und CO Helligkeit auf eine intensive Phase erster Sternentstehung hindeutet. Inzwischen hat sich aber herausgestellt, daß die Infrarothelligkeiten und molekularen Massen von F10214+4724 und dem Kleeblattquasar nicht außergewöhnlich hoch sind: Die Strahlung wird hier durch "Gravitationslinsen" (vorgelagerte massereiche Objekte) deutlich verstärkt. Die Situation im Fall des Objekts mit der größten Rotverschiebung ist noch nicht geklärt (Barvainis 1996; Ohta et al. 1996; Omont et al. 1996). In jedem Fall ist es bemerkenswert, daß die Produktion von C und O im Innern von Sternen bei z = 4.69 zumindest in diesem Fall schon weit genug fortgeschritten ist um die Emission von weithin sichtbaren CO Linien zu gewährleisten.

Literatur

(1) R. Barvainis, Nature 382 (1996) 398
(2) C. Henkel, W.A. Baan, R. Mauersberger, Astron. Astrophys. Rev. 3 (1991) 47
(3) C. Henkel, R. Mauersberger, T. WIklind, S. Hüttemeister, C. Lemme, T.J. Millar, Astron. Astrophys. 268 (1993) L17
(4) C. Henkel, M. Stickel, M., J.J. Salzer, U. Hopp, N. Brouillet, A. Baudry, Astron. Astrophys. 273, L15
(5) M. Miyoshi, J. Moran, J. Hernstein, J. Greenhill, N. Nakai, P. Diamond, M. Inoue, Nature 373 (1995) 127
(6) R. Ohta, T. Yamada, K. Nakanishi, K. Kohno, M. Akiyama, R. Kawabe, Nature 382 (1996) 426
(7) A. Omont, P. Petitjean, S. Guilloteau, R.G. McMahon, P.M. Solomon, E. Pecontel, Nature 382 (1996) 428
(8) G.D. van Albada, J.M. van der Hulst, Astron. Astrophys. 115 (1982) 263

(Christian Henkel, Copyright MPIfR 1996)


Der Artikel ist in ähnlicher Form bereits in der Zeitschrift Die Sterne erschienen (Jahrgang 72 (1996), Seite 372). Seit Beginn des Jahres 1997 wurde Die Sterne mit der Zeitschrift Sterne und Weltraum vereinigt (siehe Sterne und Weltraum, Heft 1/97, Seite 3).


ur 3/2013

Zur Redakteursansicht