Radiostudien von Gravitationslinsen
A.R. Patnaik, R.W. Porcas, C. Henkel und K.M. Menten
Gravitationslinsen und ihre Eigenschaften. Besonders kompakte Materieansammlungen im Universum können elektromagnetische Strahlung, z.B. Licht und Radiowellen, so ablenken, daß ein weit entferntes Hintergrundsobjekt wie mit einer Linse mehrfach abgebildet wird. Der Beobachter sieht zwei oder mehrere Bilder desselben Objekts mit identischen spektralen Eigenschaften, wobei das erzeugte Bild des Hintergrundsobjekts, abhängig von der Geometrie des Systems, vergrößert oder verkleinert und zusätzlich verzerrt wird. Bilder, die auf entgegengesetzten Seiten der Linse erscheinen, sind seitenverkehrt.
Dieser sogenannte Gravitationslinseneffekt tritt in verschiedenen Größenskalen auf, je nachdem, ob er durch Sterne, Galaxien oder sogar Galaxienhaufen verursacht wird. Die durch die Linse mehrfach abgebildeten Hintergrundsobjekte sind weit entfernte andere Galaxien in frühen Phasen ihrer Entwicklung oder Quasare, die oft starke Radioemission zeigen.
Das Studium der Gravitationslinsen ist für Astronomen in vielerlei Hinsicht höchst interessant. Zum einen tritt häufig eine Vergrößerung des Hintergrundsobjekts auf. Dieser Umstand erlaubt es, Objekte, die sich in sehr großen Entfernungen und somit in erheblich früheren Epochen des Universums befinden, im Detail zu untersuchen. Zum anderen sind Abschätzungen der Masseverteilung des ablenkenden Objektes möglich. Von höchstem Interesse ist auch, daß Beobachtungen von Gravitationslinsensystemen im Prinzip eine Bestimmung der Hubblekonstanten H0 und somit des Alters des Universums erlauben. (Durch die Ausdehnung des Universums seit dem Urknall wird Strahlung von Objekten in kosmologischen Entfernungen aufgrund des Dopplereffekts zu längeren Wellenlängen hin verschoben. Die Entfernung eines Objektes ist gegeben durch (c/H0)z, wobei c die Lichtgeschwindigkeit und z die beobachtete Rotverschiebung ist.) Ist beispielsweise das Hintergrundsobjekt zeitlich variabel, wie es viele Quasare sind, so wird wegen der unterschiedlichen optischen Weglängen (und damit Laufzeiten) eine Veränderung seiner Intensität in den verschiedenen Bildern zu unterschiedlichen Zeiten beobachtet werden. Die Messung dieser Zeitverzögerung in Verbindung mit einem Modell der Linse ermöglicht eine direkte Entfernungsbestimmung der Linse und erlaubt somit eine Bestimmung der Hubble-Konstanten. Im Vergleich zu anderen Methoden birgt diese neue Technik weniger systematische Fehlerquellen.
Radiobeobachtungen mit hoher und höchster räumlicher Auflösung liefern detaillierte Bilder von Gravitationslinsen. Mit der Methode der Very Long Baseline Interferometry (VLBI), einem weltweiten Zusammenschluß von Radioteleskopen zu einem Netzwerk, werden Winkelauflösungen im Millibogensekundenbereich erreicht. Die mittels VLBI-Beobachtungen erzeugten Radiobilder erlauben Tests der Theorie von Gravitationslinsen und liefern die Grundlagen für Modelle der Linsen.
Die beiden folgenden Beispiele sollen das große Potential von Radiostudien der Gravitationslinsen illustrieren. Insbesondere wird ein besonders interessanter, neuer Forschungszweig vorgestellt: Die Entdeckung von Spektrallinien verschiedener Moleküle des abbildenden Objektes in Absorption gegen die Radioemission des Hintergrundssystems.
B0218+357 — Ein Bilderbuchbeispiel. Viele der eingangs genannten Eigenschaften lassen sich am Beispiel der Radioquelle B0218+357, des kleinsten bislang bekannten Gravitationslinsensystems, verdeutlichen. Diese Quelle besteht aus zwei kompakten Radioquellen in einem Abstand von 335 Millibogensekunden zueinander (ca. 1/5000 des Monddurchmessers), und einem sogenannten Einsteinring, der den gleichen Durchmesser aufweist. Ein solcher Ring entsteht, wenn vom Beobachter aus gesehen die Quelle direkt hinter der Linse liegt. Einstein sagte dieses Phänomen bereits in den 1930er Jahren voraus. Er schätzte jedoch die Möglichkeit seiner Beobachtung als sehr gering ein, da er nur einzelne Sterne als Linsen in Betracht zog und nicht, wie im Falle von B0218+357, eine Galaxie mit einer Masse von 100 Milliarden (1011) Sonnenmassen.
Das Bild oben rechts in Abb. 1 zeigt eine Radiokarte von B0218+357, die mit MERLIN, einem aus mehreren Einzelteleskopen in England bestehenden Radiointerferometer, bei einer Winkelauflösung von 50 Millibogensekunden erzeugt wurde. Die Interpretation dieser Beobachtungen zeigt, daß der Hintergrundquasar aus einem kompakten Kern und einem länglichen Ausfluß (Jet) besteht. Der Kern wird in die beiden kompakten Bilder A und B abgebildet und der Jet in den Einsteinring.
Mit dem aus zehn verschiedenen Teleskopen in den USA bestehenden Very Long Baseline Array wurde mit hundertmal höherer Auflösung die Feinstruktur der A- und B-Quellen untersucht, die sich, wie von der Gravitationslinsentheorie gefordert, beide als Doppelquellen erweisen. Das vorläufige Ergebnis der für die Bestimmung der Hubblekonstanten wichtigen Zeitverzögerung der Variabilität der beiden Quellen hat einen noch recht unsicheren Wert von 12 Tagen ergeben.
Molekulares Gas in Gravitationslinsen. Im Falle von B0218+357 ist die Linse eine Galaxie mit einer relativ hohen Rotverschiebung (z=0.69), die nur sehr schwer direkt zu beobachten ist. Relativ einfach jedoch ist es, interstellares Gas in dieser Galaxie in Absorption gegen die recht intensive Radiostrahlung des Bildes A des Hintergrundquasars zu beobachten. Die überraschende Entdeckung von molekularem Gas in B0218+357 und in einem anderen Radio-Gravitationslinsensystem 1830-211 (z=0.89, siehe Abb. 2), ermöglicht Untersuchungen des interstellaren Mediums von Galaxien in frühen Epochen. Bei diesen Rotverschiebungen werden Moleküle zu Zeiten beobachtet, als das Universum nur ein Drittel seines gegenwärtigen Alters hatte. Abb. 1 unten links zeigt ein Spektrum der J=1-0 Rotationslinie des CS-Moleküls, das mit dem 100-m-Radioteleskop in Effelsberg beobachtet wurde. Abb. 2 zeigt eine Radiokarte von 1830-211 (man beachte die Spiegelsymmetrie der Bilder!) zusammen mit den Spektren verschiedener Moleküle, die mit dem aus 27 Radioantennen bestehenden Very Large Array des National Radio Astronomy Observatory in New Mexico beobachtet wurde. Aus diesen Beobachtungen können die relativen Häufigkeiten der Moleküle, und in einigen Fällen sogar von Isotopen (siehe H12CO+ und H13CO+ in Abb. 2) bestimmt werden. Überraschenderweise stellt sich heraus, daß sowohl Molekül- wie auch Isotopenhäufigkeiten den in unserer Milchstraße gefundenen Werten sehr ähnlich sind.
Max-Planck-Gesellschaft Jahrbuch 1997. Copyright © 1997 Max-Planck-Institut f. Radioastronomie.
ur 3/2013