Radio-Spektroskopie




Der Kosmos besteht überall aus denselben Materialien wie in Sonnenumgebung. Von hier bis zum "Rand der Welt" sind immer die gleichen Atomsorten zu sehen: Wasserstoff, Helium, Sauerstoff, Kohlenstoff, Silizium...; nirgendwo tauchen unbekannte Elemente auf. Erst in den letzten Jahren sind aber Beweise dafür gefunden worden, daß die vorhandenen Elemente auch überall die gleiche Chemie fabrizieren, sich also zu den selben Typen von Molekülen zusammenschlieüen wie in unserer unmittelbaren Umgebung. Darauf kann man zum Beispiel die Vermutung gründen, daß Leben in den uns bekannten Formen (nämlich aufbauend auf komplexen Verbindungen von Kohlenstoff, Sauerstoff, Wasserstoff...) an vielen Orten möglich und dem unseren durchaus ähnlich sein könnte. Noch in Entfernungen von zehn Milliarden Lichtjahren ist zum Beispiel das einfache Molekül Kohlenmonoxid (CO) zu beobachten; andere, in unserer eigenen Galaxie häufige Molekülsorten wie Ammoniak, Kohlensulfid, Blausäure oder Formaldehyd fallen in sehr fernen Galaxien wohl nur wegen ihrer schwächeren Strahlung nicht auf.

Woher weiß man von dieser allgemeinen kosmischen Chemie? Wie Atome auch, sendet jeder Typ von Molekülen eine für ihn ganz spezifische, unverwechselbare Strahlung aus, die sich aus einer Reihe scharf definierter Frequenzen zusammensetzt entsprechend den Frequenzen, mit denen einzelne Atome oder Atomgruppen im Molekülverbund um ihre Gleichgewichtslage schwingen oder rotieren. Sie haben Wellenlängen im Radiobereich der cm- und mm-Wellen.

Radiospektroskopie entwirrt mit geeigneten Empfängern dies Frequenzgemisch der kosmischen Emissionen und kann so die relativen Häufigkeiten der einzelnen Molekülsorten bestimmen. Da stellt sich heraus, daß kosmische Gase ganz unterschiedlich aus Einzelkomponenten zusammengemischt sind je nach ihrer dynamischen Entwicklung: kalte inaktive Gaswolken im Raum zwischen den Sternen zeigen andere Chemie als Regionen, in denen ein gerade neu entstehender Stern das Material heftig durcheinanderwirbelt. Mit Radiotechniken kann man also in chemische Laboratorien hineinsehen, in denen ganz unterschiedliche Reaktionen ablaufen; Reaktionen, die wegen der unirdischen Bedingungen im Weltraum (Temperatur, Dichte, Strömungen ...) auf der Erde meist gar nicht durchzuführen sind. Weil sich die terrestrische Evolution auf diese kosmischen Stoffe deshalb auch nicht einstellen mußte, sind die meisten von ihnen für uns hochgiftig. Aber auch verträgliches Material wie natürlich Wasser, diverse Alkohole und sogar Glyzerin finden Radioastronomen im interstellaren Raum (an Glyzerin besteht allerdings noch Zweifel unter Fachleuten).

Weil schnelle Bewegungen der Gase die Frequenzen geringfügig verschieben (Doppler-Effekt), kann man auch die Heftigkeit messen, mit der Reaktionspartner aufeinanderprallen müssen, um ein neues chemisches Produkt zu erzeugen. Diese Erzeugung illustriert zum Beispiel das Radiobild der Himmelsregion NGC 1333, in der gegenwärtig auf engstem Raum Hunderte neuer Sterne entstehen. Manche von ihnen (die Punkte) schleudern mit extremen Überschallgeschwindigkeiten den Teil des Materials ab (in Richtung der Striche), den sie zum eigenen Aufbau nicht brauchen. Wo dies Material auf die umgebende Gaswolke (die "Plazenta" des entstehenden Sternhaufens) trifft, werden in rascher Folge neue Molekülsorten wie das hier gezeigte Schwefelmonoxid gebildet. Kurz darauf wird Schwefelmonoxid schon in Schwefeldioxid umgesetzt; man beobachtet hier also das momentane Aufblitzen einer Zwischenstufe der astrochemischen Entwicklung. Die Abfolge solcher Prozesse der Hyperschallchemie stellen gegenwärtig ein wichtiges Thema der Radiospektroskopie dar.


(Johannes Schmid-Burgk, Copyright MPIfR 1996)

ur 3/2013

Zur Redakteursansicht