Hunderttausende von neuen Galaxien
Astronomen veröffentlichen neue Himmelskarte mit zahlreichen zuvor unbekannten Galaxien
Ein internationales Team von mehr als 200 Astronominnen und Astronomen aus 18 Ländern unter Beteiligung von Forschern am Bonner Max-Planck-Institut für Radioastronomie hat erste Karten einer Himmelsdurchmusterung von bisher unerreichter Empfindlichkeit mit dem Radioteleskop „Low Frequency Array“ (LOFAR) veröffentlicht. Die Karte enthüllt Hunderttausende unbekannter Galaxien und wirft ein neues Licht auf Forschungsgebiete wie Schwarze Löcher, interstellare Magnetfelder und Galaxienhaufen.
Eine Sonderausgabe der Fachzeitschrift „Astronomy & Astrophysics“ widmet sich den ersten 26 Forschungsarbeiten, in denen die Ergebnisse beschrieben werden.
LOFAR (Low Frequency Array) ist ein riesiges europäisches Netzwerk von Radioteleskopen, die über ein Hochgeschwindigkeits-Glasfasernetz miteinander verbunden sind und deren empfangene Signale zu einem einzigen Signal kombiniert werden. Leistungsstarke Supercomputer verwandeln 100.000 Einzelantennen in eine virtuelle Empfangsschüssel mit einem Durchmesser von 1.900 Kilometern. LOFAR arbeitet in den bisher weitgehend unerforschten Frequenzbereichen zwischen etwa 10 bis 80 Megahertz (MHz) und 110 bis 240 MHz. Es wird von der Forschungseinrichtung ASTRON in den Niederlanden gesteuert und gilt als das weltweit führende Teleskop seiner Art. ,,Diese Himmelskarte ermöglicht eine unglaubliche Zahl von wissenschaftlichen Entdeckungen von bleibendem Wert. Der hohe Aufwand und die eingegangenen Risiken bei der Entwicklung von LOFAR werden durch diese Ergebnisse reichlich belohnt”, sagt Dr. Carole Jackson, Generaldirektorin von ASTRON. In Deutschland befinden sich sechs Messstationen, die von verschiedenen wissenschaftlichen Einrichtungen betrieben werden.
Hier sind die wichtigsten Ergebnisse in sechs Punkten:
Die neue Himmelskarte
Mit Hilfe von LOFAR haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nun eine neue Himmelskarte erstellen können. Viele der dort abgebildeten Galaxien waren bisher unbekannt, da sie extrem weit entfernt sind und ihre Radiosignale Milliarden von Lichtjahren zurücklegen müssen, um die Erde zu erreichen. Zudem ermöglichen Radiowellen kosmische Phänomene zu erforschen, die im für Menschen sichtbaren Wellenlängenbereich nicht beobachtet werden können.
Schwarze Löcher
Wenn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit einem Radioteleskop den Himmel beobachten, ist hauptsächlich Strahlung aus der Umgebung von Schwarzen Löchern zu sehen, die Millionen Mal schwerer sind als die Sonne. „Mit LOFAR wollen wir herausfinden, welchen Einfluss die Schwarzen Löcher auf die Galaxien haben, in denen sie sitzen“, sagt Prof. Dr. Marcus Brüggen, Astrophysiker an der Universität Hamburg. Prof. Dr. Huub Röttgering von der Universität Leiden und wissenschaftlicher Leiter der Himmelsdurchmusterung ergänzt, “Und wir wollen herausfinden, woher diese Schwarzen Löcher kommen.”
Wenn Gas auf Schwarze Löcher fällt, stoßen sie Materialstrahlen ‒ sogenannte Jets ‒ aus, die bei Radiowellenlängen sichtbar sind. Aufgrund der bemerkenswerten Empfindlichkeit von LOFAR konnten die wissenschaftlichen Teams jetzt zeigen, dass diese Jets in jeder riesigen Galaxie vorhanden sind und dass Schwarze Löcher ständig wachsen
Magnetfelder
Mit der Radiostrahlung, die LOFAR empfängt, können zudem kosmische Magnetfelder gemessen werden. So haben die Forscherinnen und Forscher aus Deutschland die Magnetfelder in den Halos (Hüllen) von Galaxien vermessen. Sie konnten zeigen, dass sich auch zwischen Galaxien enorme magnetische Strukturen befinden. Damit konnten theoretische Vermutungen bestätigt werden. "LOFAR liefert Hinweise, dass der gesamte Raum zwischen den Galaxien magnetisch sein könnte", so Dr. Rainer Beck vom MPIfR Bonn.
Galaxienhaufen
Durch die Verschmelzung zweier Galaxienhaufen werden Radioemissionen ‒ sogenannte Radiohalos ‒ mit einer Größe von Millionen von Lichtjahren erzeugt, wie Dr. Amanda Wilber von der Sternwarte der Universität Hamburg erläutert: „Radiohalos werden von extrem schnellen Elementarteilchen hervorgerufen. Mit LOFAR können wir erforschen, welche kosmischen Beschleuniger diese Teilchen erzeugen und was diese antreibt.“
Dr. Matthias Hoeft von der Thüringer Landessternwarte Tautenburg fügt hinzu: „Wenn Galaxienhaufen verschmelzen, entstehen riesige Stoßwellen. Mit LOFAR können wir deren Radioemission aufspüren und lernen dadurch viel über das Gas am Rand der gigantischen Galaxienhaufen.“
Qualitativ hochwertige Bilder
Die Erstellung von Radiohimmelskarten mit niedriger Frequenz bedarf sowohl beträchtliche Teleskop- als auch Rechenzeit und erfordert die Analyse der Daten durch große Teams. „LOFAR produziert gigantische Datenmengen ‒ wir müssen das Äquivalent von zehn Millionen DVDs verarbeiten. Dies stellt höchste Ansprüche an Soft- und Hardware und ist nur durch ein internationales und interdisziplinäres Team möglich“, sagt Prof. Dr. Dominik Schwarz von der Universität Bielefeld und Repräsentant Deutschlands beim Steuerungsgremium von LOFAR.
„Wir haben in Deutschland mit dem Forschungszentrum Jülich zusammengearbeitet, um die riesigen Datenmengen effizient in qualitativ hochwertige Bilder umzuwandeln. Diese Bilder sind nun öffentlich und werden Astronominnen und Astronomen die Möglichkeit geben, die Entwicklung von Galaxien in bisher unerreichter Detailgenauigkeit zu untersuchen“, ergänzt Prof. Dr. Ralf-Jürgen Dettmar von der Ruhr-Universität Bochum.
Das Forschungszentrum Jülich beherbergt ca. 15 Petabyte an LOFAR-Daten. „Dies ist fast die Hälfte aller LOFAR-Daten, eine der größten astronomischen Datensammlung der Welt. Die Verarbeitung dieser gigantischen Datensätze stellt eine große Herausforderung dar. Was normalerweise auf herkömmlichen Computern Jahrhunderte gebraucht hätte, konnte durch die Verwendung von innovativen Algorithmen und extrem leistungsfähiger Computer auf ein Jahr reduziert werden.“, sagt Prof. Dr. Dr. Thomas Lippert, Institutsleiter vom Jülich Supercomputing Centre. Jülich ist eins der drei Datenzentren des LOFAR-Projekts. Außerdem managt das Jülich Supercomputing Centre den Daten-Netzwerkverkehr zwischen den deutschen LOFAR-Stationen und zum zentralen LOFAR-Rechner in Groningen.
Ausblick
Die 26 nun in einer Sonderausgabe von Astronomy & Astrophysics veröffentlichten Arbeiten basieren auf nur etwa zwei Prozent der mit LOFAR geplanten Beobachtungen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wollen nun die gesamte nördliche Himmelskugel kartieren. Sie erwarten letztendlich rund 15 Millionen Radioquellen zu finden.
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Deutschland ist neben den Niederlanden mit sechs Stationen der größte internationale Partner bei LOFAR. Die Radioteleskop-Stationen werden von der Ruhr-Universität Bochum, der Universität Hamburg, der Universität Bielefeld, dem Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn, dem Max-Planck-Institut für Astrophysik in Garching, der Thüringer Landessternwarte, dem Astrophysikalischen Institut Potsdam und dem Forschungszentrum Jülich betrieben. Diese Institutionen sind im GLOW (German Long Wavelength) Konsortium zusammengeschlossen. Gefördert wird LOFAR in Deutschland von der Max-Planck-Gesellschaft, dem Bundesministerium für Bildung und Forschung, den jeweiligen Bundesländern und von der Europäischen Union.
Die Ergebnisse werden von folgenden beteiligten Instituten veröffentlicht:
Australien: CSIRO
Dänemark: University of Copenhagen
Deutschland: Universität Hamburg, Ruhr-Universität Bochum, Karl-Schwarzschild-Observatorium Tautenburg, Europäische Südsternwarte (ESO), Universität Bonn, Max-Planck-Institut für Extraterrestrische Physik, Garching, Universität Bielefeld, Max-Planck-Institut für Radioastronomie, Bonn
Frankreich: Observatoire de Paris PSL, Station de radioastronomie de Nançay, Université Côte d'Azur, Université de Strasbourg, Université d’Orléans, CNRS-INSU
Großbritannien: University of Hertfordshire, University of Edinburgh, Open University, University of Oxford, University of Southampton, University of Bristol, University of Manchester, The Rutherford Appleton Laboratory, University of Portsmouth, University of Nottingham
Indien: Savitribai Phule Pune University
Irland: University College Dublin
Island: University of Iceland
Italien: National Institute for Astrophysics (INAF), University of Bologna
Kanada: University of Montreal, University of Calgary, Queen’s University
Mexiko: Universidad de Guanajuato
Niederlande: ASTRON, the NOVA (Netherlands Research School for Astronomy) institutes at Leiden University, Groningen University, University of Amsterdam and Radboud University Nijmegen, SURF/SURFsara, SRON, Ampyx Power B.V, JIVE
Polen: Jagiellonian University, Nicolaus Copernicus University Toruń
Schweden: Chalmers University
Spanien: Universidad de La Laguna
Südafrika: University of Western Cape, Rhodes University, SKA South Africa
Uganda: Mbarara University of Science & Technology
USA: Harvard University, Naval Research Laboratory, University of Massachusetts