Neun neue Gammapulsare

Entdeckung in den Daten des Fermi-Teleskops gelingt dank Analysemethode aus der Gravitationswellenforschung

3. November 2011
Pulsare gelten als Leuchttürme im All. Diese kompakten und schnell rotierenden Neutronensterne blinken im Radio- oder Gammawellenbereich mehrmals pro Sekunde auf. Reine Gammapulsare sind extrem schwer zu finden, da sie trotz der hohen Energie nur sehr wenige Photonen pro Zeiteinheit abstrahlen. Mit einem verbesserten Analysealgorithmus haben nun Max-Planck-Wissenschaftler in internationaler Kooperation eine Reihe bisher unbekannter und besonders leuchtschwacher Gammapulsare in den Daten des Satellitenobservatoriums Fermi aufgespürt. Damit hat sich deren Anzahl auf mehr als 100 erhöht.

Die kosmischen Leuchtfeuer stellen die Astronomen noch vor manches Rätsel. So etwa geben sich nicht alle Radio- auch als Gammapulsare zu erkennen; und umgekehrt strahlen nicht alle Gammapulsare auch im Radiofrequenzbereich. Eine plausible Erklärung ist eine unterschiedliche Breite der Lichtkegel in den verschiedenen Wellenlängenbereichen. Während die energieärmere Radiostrahlung an den Magnetfeldpolen eines Neutronensterns enger gebündelt wird, fächert sich der Lichtkegel aus hochenergetischer Gammastrahlung weiter auf.

Je nach räumlicher Orientierung und Intensität des Strahlenkegels lässt sich der Stern dann als Radio- oder Gammapulsar beobachten. Es existieren aber auch alternative Modelle. Um die tatsächliche Ursache zu klären, ist es notwendig, eine möglichst große Stichprobe dieser Objekte zu untersuchen.

Auf der Suche nach reinen Gammapulsaren tappen die Astrophysiker zunächst sprichwörtlich im Dunkeln. Ein typischer Pulsar dreht sich mehrfach pro Sekunde – mindestens 100 Millionen Mal pro Jahr – um die eigene Achse. Entsprechend häufig durchkreuzt sein Lichtkegel die Blickrichtung des Beobachters. Das Large Area Telescope auf dem Nasa-Satelliten Fermi empfängt von einem Gammapulsar im Schnitt aber nur wenige Tausend Photonen jährlich. Bei einer derart niedrigen Rate ist es auch mit modernsten Hochleistungs-Rechensystemen eine große Herausforderung, die Gammaquanten einem unbekannten Pulsar mit wohldefinierter Rotationsperiode zuzuordnen.

Forscher des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik/Albert-Einstein-Instituts in Hannover, der Leibniz Universität Hannover und des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie in Bonn haben in den vergangenen Monaten in einer internationalen Kooperation Daten des Large Area Telescope analysiert und mit einer besonders effizienten Methode neun Pulsare identifiziert, die bis dahin unsichtbar waren.

„Um diese Aufgabe zu bewältigen, haben wir einen hierarchischen Algorithmus verwendet, den wir zunächst für die Suche nach Gravitationswellen entwickelt hatten”, erklärt Bruce Allen, Direktor am Albert-Einstein-Institut und Professor am Institut für Gravitationsphysik der Leibniz Universität Hannover. „Die Datenanalyse ist ähnlich aufregend und mühsam, wie nach Gold zu graben: Sie vermuten, dass es etwas zu finden gibt, aber Sie wissen nicht genau, wo”, so Allen.

Die neun neuen Pulsare, die den Wissenschaftlern jetzt ins Netz gingen, geben weniger Gammastrahlung ab als die bisher bekannten und drehen sich drei bis zwölf Mal pro Sekunde um die eigene Achse. Nur bei einem dieser Pulsare maßen die Astrophysiker im Nachhinein auch Radiostrahlung. Insgesamt hat sich damit die Anzahl der mit Fermi detektierten Gammapulsare auf mehr als 100 erhöht.

Etwa drei Viertel der bisher mit dem Satelliten beobachteten Gammapulsare waren bereits als Radiostrahler bekannt. In solchen Fällen ist die Suche nach zusätzlicher Gammastrahlung recht einfach: Himmelsposition, Rotationsperiode und Rotationsänderung eines Pulsars lassen sich aus den Radiodaten ableiten. In wenigen Rechenschritten lässt sich dann überprüfen, ob die detektierten Gammaquanten zu diesen Parametern passen oder nicht.

Umso aufwendiger gestaltet sich eine Blindsuche. Dabei sind weder Position noch Pulsperiode und deren zeitliche Änderung bekannt. Zunächst wird jedem einzelnen Photon eines Beobachtungsausschnitts eine bestimmte Wahrscheinlichkeit für eine Himmelsposition zugeordnet.

Ist aus einer groben Himmelsrichtung eine signifikante Häufung von Gammaquanten erkennbar, überprüfen die Wissenschaftler, ob die Ankunftszeiten der Photonen im Detektor an Bord von Fermi mit einer exakten Himmelsposition, Pulsationsperiode und deren zeitlichen Änderung übereinstimmen. Bei nur wenigen Tausend Photonen, gemessen über einen Zeitraum von drei Jahren, aber Rotationsfrequenzen von einigen Hertz, müssen die Forscher eine große Anzahl an Möglichkeiten durchtesten.

Bei einer ersten Blindsuche in den Fermi-Daten hatten die Astronomen innerhalb des ersten Jahres nach dem Start des Satelliten 24 reine Gammapulsare gefunden, im darauf folgenden Jahr zwei weitere. Seitdem stagnierte ihre Anzahl – bis sich die Hannoveraner Physiker mit einem zehnfach effizienteren Algorithmus und erweiterten Rechenkapazitäten auf die Suche machten. Dabei fanden sie neun weitere Gammapulsare, die im Vergleich zu den bisher bekannten reinen Gammapulsaren durchschnittlich etwa viermal weniger Photonen aussenden.

Dabei untersuchten die Bonner Max-Planck-Kollegen, ob sich die jeweiligen Gammaquellen aufgrund ihres Energiespektrums für die Blindsuche nach Gammapulsaren eignen. „Rund ein Drittel der mit dem Large Area Telescope beobachteten Gammaquellen waren vor dem Start von Fermi noch nicht bekannt“, sagt Lucas Guillemot, Wissenschaftler in der Arbeitsgruppe von Michael Kramer, Direktor am Max-Planck-Institut für Radioastronomie. „Wir haben die Energieverteilung dieser Quellen untersucht und sie mit bekannten Gammapulsaren verglichen.“

Die nach diesen Kriterien für eine Blindsuche nach Gammapulsaren geeigneten Kandidaten wurden nun weiter im Detail analysiert. „Mit unserer neuen Rechenmethode lassen sich vergleichbare Datensätze erheblich effizienter auswerten als zuvor”, erklärt Holger Pletsch, Wissenschaftler in Bruce Allens Arbeitsgruppe, der federführend an der Studie beteiligt ist. Zudem lief die Analyse am ATLAS-Computercluster des Albert-Einstein-Instituts. Im Vergleich zu vorherigen Blindsuchen verfügt ATLAS über eine hundertfache Rechenleistung.

„Im Zusammenspiel mit der effizienteren Analyse bedeutet das nicht nur, dass wir die Daten nun schneller untersuchen können. Wir haben nun auch erstmals die Möglichkeit, nach noch rascher rotierenden Gammapulsaren zu suchen, deren Periode im Millisekundenbereich liegt”, sagt Pletsch. Denn die notwendige Rechenzeit nimmt mit steigender Rotationsperiode zu, und zwar etwa mit der dritten Potenz.

Seit Kurzem wird zusätzlich ein Teil der Rechenkapazität des Projekts für verteiltes Rechnen – Einstein@Home – zur Suche nach dem ersten reinen Gamma-Millisekundenpulsar verwendet. Eine solche Entdeckung wäre ein entscheidender Beitrag zum besseren Verständnis von Pulsaren.

FM/HOR

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