Kaltes Gas in der Andromedagalaxie

Neue Radiokarte zeigt detaillierte Verteilung von Sternentstehungsgebieten innerhalb unserer Nachbarmilchstraße

29. Juni 2006

Eine neue Radiokarte der Andromedagalaxie hat jetzt ein deutsch-französisches Forscherteam vorgelegt. Sie zeigt, wo in unserer rund 2,5 Millionen Lichtjahre entfernten Nachbarmilchstraße kaltes Gas vorkommt, das Baumaterial für die Entstehung neuer Sterne. Außerdem lässt sich die Bewegung dieses Gases erkennen. Mit mehr als 800 Stunden Teleskopzeit war das Projekt eines der umfangreichsten in der Millimeter-Radioastronomie. Daran beteiligt waren Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie (MPIfR) in Bonn und des Institut de Radioastronomie Millimétrique (IRAM) in Grenoble (Astronomy & Astrophysics, Vol. 453 No. 2, July II 2006).

Wie entstehen Sterne? Diese Frage zählt zu den wichtigsten der Astronomie. Inzwischen wissen wir, das die Geburtsstätten der Sonnen in kalten Gaswolken mit Temperaturen von unter minus 220 Grad Celsius (50 Kelvin) liegen. Solche kosmische Brutnester bestehen vor allem aus molekularem Wasserstoff (H2); er sendet Strahlung im Infraroten aus, die sich mit erdgebundenen Teleskopen kaum nachweisen lässt, weil die Atmosphäre das schwache Leuchten verschluckt. Daher untersuchen die Astronomen ein anderes Molekül - das zwar viel seltener vorkommt, aber fast immer zusammen mit H2 auftritt: Kohlenmonoxid (CO). Das Molekül hat eine helle Spektrallinie bei 2,6 Millimeter Wellenlänge und gilt als Indikator für günstige Bedingungen, unter denen neue Sterne und Planeten entstehen können.

Seit langem untersuchen Astronomen die Häufigkeit von Kohlenmonoxid in unserem eigenen Milchstraßensystem. Viele Fragen sind jedoch noch offen: Wie entsteht das stellare Baumaterial? Stammt das molekulare Gas aus einem Vorrat aus der Frühzeit der Galaxis, oder kann es sich aus dem (wärmeren) atomaren Gas bilden? Kollabiert eine Gaswolke spontan, oder braucht sie einen Anstoß von außen? Da wir uns inmitten der Scheibe unserer Galaxis befinden, fällt es schwer, den nötigen Überblick zu gewinnen. Ein Blick von außen tut Not - und dabei leistet die Andromedagalaxie wichtige Nachbarschaftshilfe.

Das Sternsystem mit der Katalognummer M 31 im Bild Andromeda besteht wie unsere Galaxis aus vielen hundert Milliarden Sternen. Mit etwa 2,5 Millionen Lichtjahren Entfernung ist M 31 die uns nächst gelegene Spiralgalaxie. Am Himmel nimmt sie einen Winkel von fast fünf Grad ein und erscheint schon dem bloßen Auge als diffuses Wölkchen. Von der Erde aus sehen wir fast auf die Kante der Scheibe, in der sich das meiste Gas und die meisten Sterne befinden (Abb. 1, rechts).

Im Jahr 1995 begann ein Team von Radioastronomen am Institut de Radioastronomie Millimétrique (IRAM) in Grenoble (Michel Guélin, Hans Ungerechts, Robert Lucas) und am Max-Planck-Institut für Radioastronomie (MPIfR) in Bonn (Christoph Nieten, Nikolaus Neininger, Elly Berkhuijsen, Rainer Beck und Richard Wielebinski) mit dem ehrgeizigen Projekt, die komplette Andromedagalaxie in der Kohlenmonoxid-Linie mit dem 30-Meter-Teleskop des IRAM auf dem 2970 Meter hohen Pico Veleta bei Granada zu kartieren.

Um auch nur die inneren zwei Grad der Galaxie zu erfassen, mussten die Forscher bei einer Winkelauflösung des Teleskops von 23 Bogensekunden mehr als 1,5 Millionen Einzelpositionen messen. Zur Bewältigung dieser Aufgabe wurde nicht jeder Punkt eigens angefahren, sondern das Teleskop streifenweise über die Galaxie bewegt ("On-the-fly-Methode). Jede Position in M31 lieferte nicht nur einen, sondern gleich 256 Messwerte über ein Spektrum mit einer Bandbreite von etwa 0,2 Prozent der zentralen Wellenlänge von 2,6 Millimeter. Damit besteht das komplette Beobachtungsmaterial aus insgesamt rund 400 Millionen Zahlenwerten.

Die genaue Lage der Linie des CO im Spektrum gibt Aufschluss über die Bewegung des kalten Gases: Kommt es auf uns zu, ist die Linie zu kürzeren Wellenlängen verschoben, bewegt es sich von uns weg, verschiebt sich die Spektrallinie zu größeren Wellenlängen (Doppler-Effekt). Nach mehr als 800 Stunden Teleskopzeit sowie nach ausführlicher Bearbeitung und Datenanalyse wurde die Karte der Verteilung des kalten Gases (Abb. 1, links) jetzt veröffentlicht.

Das kalte Gas in der Andromedagalaxie konzentriert sich in erstaunlich filigranen Spiralarmen, die auffälligsten in einem Abstand von 25.000 bis 40.000 Lichtjahren vom Zentrum entfernt. Weiter innen, wo die Hauptmasse der alten Sterne liegt, treten die Spiralarme viel schwächer hervor, weiter außen fehlen sie nahezu ganz. Infolge der starken Neigung der Galaxie gegen die Sichtlinie (etwa 78 Grad) scheinen die hellsten Spiralarme eine riesige Ellipse mit einer Hauptachse von zwei Grad zu bilden.

Die Karte der Geschwindigkeiten (Abb. 2) liefert die Momentaufnahme eines gigantischen Feuerrads: Auf der einen Seite (im Süden, links) bewegt sich das Gas mit rund 500 Kilometern pro Sekunde auf uns zu (blau), auf der gegenüberliegenden Seite (im Norden, rechts) nur mit 100 Kilometern pro Sekunde (rot). Zwei Geschwindigkeiten addieren sich hier: Global gesehen, bewegt sich M 31 mit rund 300 Kilometern pro Sekunde auf uns zu und wird in etwa zwei Milliarden Jahren sehr nah an der Milchstraße vorbeiziehen. Dabei rotiert die Galaxie um ihre zentrale Achse. Da die Gaswolken auf den inneren Umlaufbahnen einen kürzeren Weg zurückzulegen haben als die weiter außen gelegenen, überholen sie die äußeren Gaswolken und erzeugen damit Spiralstrukturen.

Der Unterschied zwischen der Dichte des kalten Molekülgases in den Spiralarmen und in den Zwischenarmgebieten ist enorm groß, dagegen erscheint das atomare Gas, das sich im neutralen Wasserstoff zeigt, viel gleichmäßiger verteilt. Es wird diskutiert, ob das molekulare Gas aus atomarem Gas durch Verdichtung entsteht - und zwar vorzugsweise in einer schmalen Ringzone innerhalb der Galaxie, in der auch fast die gesamte Sternbildung abläuft. Was zeichnet diese Zone vor allen anderen aus? Möglicherweise stellt der Gasring von M 31 den noch nicht verbrauchten Rest einer ursprünglich viel größeren Gasmasse dar. Vielleicht spielt auch das außergewöhnlich reguläre Magnetfeld eine Rolle, das nach Radiobeobachtungen mit dem Effelsberger 100-Meter-Teleskop fast die gleiche Form besitzt wie die CO-Spiralarme und dort die Sternbildung auslösen könnte.

Die Ringzone - und damit die "Geburtszone" für neue Sterne in unserer eigenen Galaxis - ist kleiner als die von M 31, sie reicht von etwa 10.000 bis 20.000 Lichtjahre Entfernung vom Zentrum. Trotzdem ist die Gesamtmasse an kaltem Gas in unserer Galaxis viel größer als in M 31. Da alle Galaxien ungefähr gleich alt sind, muss unser Milchstraßensystem sparsamer mit dem Rohstoff für Sterne umgegangen sein. In der Andromedagalaxie dagegen weisen die vielen alten Sterne im Zentralbereich auf eine helle Vergangenheit hin, in der die Sternbildungsrate viel höher war als heute. Jetzt ist dort fast das gesamte Gas verbraucht und die Sternproduktion zum Erliegen gekommen. Die neue Karte zeigt, wie aktiv die Andromedagalaxie bei der Sternbildung aus kalten Gaswolken war. In einigen Milliarden Jahren wird unsere Galaxis ähnlich aussehen.

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