Staub in Galaxien

R. Chini, M. Dumke, G. Haslam, M. Krause, E. Kreysa, E. Krügel, P. G. Mezger, N. Neininger, H.-P. Reuter,
R. Wielebinski, R. Zylka




Die Bedeutung des Themas. Die Untersuchung von Staub in Galaxien hat sich in der letzten Dekade als selbständiges Forschungsgebiet herausgebildet. Voraussetzung und Anlaß dazu waren auf der technischen Seite die Inbetriebnahme geeigneter erdgebundener Teleskope, der Start von Infrarotsatelliten und die Entwicklung empfindlicher Detektoren. Astronomisch stehen zwei Problemkreise im Vordergrund, die aufs engste mit der Sternentstehung verbunden sind: Die Bestimmung zweier Fundamentalparameter einer Galaxie, nämlich ihrer Masse an interstellarer Materie Mgas und ihrer Leuchtkraft L, lassen sich aus der Staubemission ableiten. Ihre astronomische Aussagekraft findet den eindrucksvollsten Ausdruck in der Tatsache, daß das Verhältnis L/Mgasein Maß für die Aktivität der Sternentstehung angibt und damit einen Weg zum Verständnis aktiver Galaxien ebnet. Bei nahen Galaxien erlaubt die heute erzielbare räumliche Auflösung, die Verteilung der interstellaren Materie innerhalb der Galaxie festzulegen und sie in Verbindung zur lokalen Sternentstehungsrate zu setzen.

Aktivität. Die meisten Galaxien beziehen ihre Leuchtkraft aus der Entstehung von Sternen. Dieser Prozeß verläuft üblicherweise ruhig, das heißt in gleichmäßigem Tempo. Zum Beispiel ist die zeitlich und räumlich gemittelte Sternentstehungsrate in der Scheibe der Milchstraße konstant und beträgt etwa 5 Sonnenmassen pro Jahr. In den Kernen von Galaxien kann Sternentstehung aber auch als explosiver Vorgang auftreten. Dabei können jährlich 10 Sonnenmassen und mehr von interstellarer Materie in Sterne umgewandelt werden. In solch einem Fall überstrahlt die Kernregion, obwohl an Ausdehnung hundertmal kleiner als die ganze Galaxie, die gesamte Scheibe. Das uns nächste und am besten studierte Beispiel ist der Kern der Galaxie M82 (Abb. 1). Radiogalaxien oder Quasare beziehen zusätzlich Leuchtkraft aus einem zentralen  schwarzen Loch. Aber auch bei diesem Prozeß ist der Brennstoff interstellare Materie. Vor etwa zehn Jahren wurde erstmals die Vermutung geäußert, daß das Verhältnis von Leuchtkraft L zur Gasmasse Mgas in enger Verbindung zur Aktivität einer Galaxie steht. Um die Hypothese, daß L/Mgas ein Maß für den Aktivitätsgrad ist, zu verifizieren, müssen zwei der Grundparameter einer Galaxie, Gasmasse und Leuchtkraft, in verschiedenen Typen von Sternsystemen zuverlässig bestimmt werden.

Leuchtkraft und Gasmasse von Galaxien. Eine Galaxie strahlt nicht nur im Optischen, sondern über das gesamte elektromagnetische Spektrum: vom Röntgenbereich bis zu Radiowellen. Dabei fällt ein beträchtlicher Teil der Emission ins Infrarote mit Wellenlängen zwischen 1 und 1000µm und zwar deshalb, weil die kurzwellige Sternstrahlung vom Staub in der Galaxie verschluckt und im Infraroten reemittiert wird. Bei der Milchstraße beträgt dieser Anteil etwa ein Drittel, in einigen Galaxien aber überschreitet er 90%; sie sind optisch völlig unauffällig, aber extreme Infrarotstrahler. Die Tatsache, daß ein wesentlicher, bisweilen sogar der Hauptteil der Energie über Staub emittiert wird und somit das spektrale Erscheinungsbild der Galaxie prägt, ist ein Grund für die intensive Beschäftigung mit interstellarem Staub.

Das Gas der interstellar Materie kommt in zwei Hauptphasen vor. In der ersten ist das häufigste Element, der Wasserstoff, atomar (HI) und kann durch die berühmte Hyperfeinstrukturlinie bei 21-cm-Wellenlänge beobachtet werden; in der zweiten, für Sternentstehung allein relevanten, ist er molekular (H2) und, von Ausnahmen abgesehen, unsichtbar. Wolken von molekularem Wasserstoff müssen über andere, nur in geringer Häufigkeit vorkommende Indikatoren nachgewiesen werden. In Bezug auf Galaxien kommen dafür nur Staub oder Kohlenmonoxyd (CO) in Frage. Während Staub der interstellaren Materie überall in gleichem Verhältnis beobachtet wird, er also sowohl in HI- wie H2 Wolken vorkommt, tritt CO nur in H2-Wolken auf. In der Milchstraße sind die Massen der beiden Komponenten, HI und H2, vergleichbar mit je etwa ~3·109 Sonnenmassen. Was ihre räumliche Verteilung angeht, so lautet die Faustregel, daß HI in den Außenbezirken einer Galaxie vorherrscht, während H2 im Zentrum dominiert. Daraus wird ersichtlich, daß zur vollständigen Beschreibung der Verteilung der interstellaren Materie Staubmessungen allein nicht ausreichen, sondern durch Beobachtungen von HI und CO zu ergänzen sind.

Emission von Staub und Kohlenmonoxyd. Obwohl die Physik eines aus Millionen Atomen bestehenden Staubpartikels ungleich komplizierter ist als die eines einzelnen Moleküls, folgt die Emission des Festkörpers doch einem einfachen, universalen Gesetz, wobei man zur quantitativen Auswertung allerdings die Temperatur des Teilchens und seinen Wirkungsquerschnitt für Photonenabsorption kennen muß. Da der Wirkungsquerschnitt mit der Wellenlänge abnimmt und bei 1 mm sehr klein ist, verläßt Staubstrahlung um 1-mm-Wellenlänge die Galaxie ungehindert und der gemessene Kontinuumfluß gibt unmittelbar die Staubmasse an. In der Milchstraße ist das Massenverhältnis von Gas zu Staub etwa 150; wenn dieser Wert auch für andere Galaxien als repräsentativ angesehen wird, kann aus dem Kontinuumfluß die Gesamtmasse der interstellaren Materie bestimmt werden.
Das Molekül CO kommt in Molekülwolken mit einer Häufigkeit von etwa 1:10000 relativ zum Wasserstoff vor. Das Molekül wird durch Stöße mit H2 schon bei relativ geringen Dichten zur Rotation angeregt und sendet Linienstrahlung bei 1,3- und 2,6-mm-Wellenlänge aus, die besonders zum Nachweis des interstellaren Gases geeignet ist. Nach einem eher aus Messungen an Wolken in der Milchstraße empirisch gefundenen, denn theoretisch voll verstandenen Zusammenhang bestimmt die Linienstärke die Gesamtgasmasse.

Bei den Beobachtungen stützen wir uns hauptsächlich auf das 15-m-Teleskop der Europäischen Südsternwarte in Chile (ESO) und das 30-m-Teleskop von IRAM in Spanien. Die Größe der Teleskope in Verbindung mit den Beobachtungswellenlängen erlaubt bei Objekten von weniger als 100 Millionen Lichtjahre Entfernung eine ausreichende räumliche Auflösung für den Zentralbereich und die Randregionen, bei nahen Galaxien sogar eine detaillierte Kartierung.

Zum Nachweis der Staubes benutzt man Bolometer, wobei die empfangene Strahlung einen Kristall erwärmt und seinen elektrischen Widerstand verändert. Zur Steigerung der Empfindlichkeit wird der Kristall mittels 3He auf 0,3 K abgekühlt; Matrixdetektoren mit bis zu 19 Kanälen reduzieren drastisch die notwendige Beobachtungszeit. Die Beobachtungen der Moleküllinien werden mit rauscharmen SIS-Detektoren von ausreichender Bandbreite für extragalaktische Zwecke durchgeführt.

Ergebnisse zur Aktivität. Das Projekt „Aktivität in Galaxien”' wird seit zehn Jahren verfolgt. Folgende Hauptresultate haben sich herauskristallisiert:

  • Bei zwei umfangreichen Stichproben morphologisch ähnlicher Spiralgalaxien, wobei die erste aktive, die zweite inaktive Objekte enthält, wurden aus den Millimeterbeobachtungen von Staub und CO die Größen Gasmasse Mgas, Leuchtkraft L und Staubtemperatur bestimmt. Es zeigt sich, daß nicht die Leuchtkraft für sich genommen das Merkmal für Aktivität ist; vielmehr legt erst das Verhältnis Leuchtkraft zu Gasmasse den Aktivitätszustand eindeutig fest (Abb. 2).
  • Eine grobe Kartierung der Galaxien in der Staub- wie auch CO-Strahlung ergibt für inaktive Galaxien, daß sich die interstellare Materie über die gesamte optisch sichtbare Scheibe ausdehnt, während sie bei aktiven zum Galaxienkern konzentriert ist.
  • Die Massenbestimmung der interstellaren Materie für die Kerngebiete der Galaxien aufgrund von CO-Linien- und Staubstrahlung ergibt, im Rahmen der Beobachtungsgenauigkeiten, vergleichbare Resultate. Da beide Methoden völlig unabhängig, aber sehr indirekt und in sich schwer zu kalibrieren sind, bestätigt dieses Ergebnis Vertrauenswürdigkeit; Messungen von CO und HI sind komplementär zu denen des Staubes (Abb. 3).
  • Der Staub ist in aktiven Galaxien deutlich wärmer. Das findet seine Erklärung in dem höheren Tempo für Sternentstehung und der damit verbundenen größeren Heizrate.
  • Auch bei Quasaren, den immer noch rätselhaften, extrem aktiven und leuchtkräftigen Objekten, stammt die Millimeter-Strahlung vom Staub und ergibt L/Mgas-Verhältnisse, die noch über denen aktiver Galaxien liegen, deren Leuchtkraft allein auf Sternentstehung beruht.
  • Der Nachweis von Staubstrahlung in sehr entfernten Galaxien am Rande des Universums, aus einer Zeit also, wo das Weltall noch jung war, liefert die Möglichkeit, Galaxien in ihrer Entstehung zu beobachten (Abb. 4). Diese Objekte sind über tausendmal heller als unsere Milchstraße

Alle oben angesprochenen Fragestellungen werden durch Beobachtungen mit dem kürzlich gestarteten Forschungssatelliten ISO weiter verfolgt.

Ergebnisse der Kartierung naher Galaxien. Der Infrarotsatellit IRAS hat für viele Jahre den größten Anteil der Kenntnisse über den interstellaren Staub geliefert. Die Auswertung dieser Daten zeigte die Existenz großer Mengen Staubes mit Temperaturen von etwa 30K bis 80K. Durch Messungen im Millimeterbereich - insbesondere auch mit dem Mehrkanal-Bolometer des MPIfR - hat sich gezeigt, daß die tatsächliche Staubmenge erheblich größer ist als die Menge, die nur aus CO-Beobachtungen vermutet wurde. Es gibt nämlich in den „ruhigeren" Bereichen der Galaxien kalten Staub mit Temperaturen unter 20K, und dieser Anteil war für den IRAS-Satelliten gewissermaßen unsichtbar.

Da die Strahlung aus unserer eigenen Galaxis in der Regel viel stärker ist als die entfernterer Objekte, gibt es Probleme bei der Interpretation: es ist oft unmöglich, die genaue Entfernung eines gemessenen galaktischen Objektes festzustellen - dadurch wird die Zuordnung verschiedener Ergebnisse schwierig. Außerdem nimmt uns die Lage der Sonne in der Scheibe der Milchstraße die Möglichkeit, die Emission der sicher vorhandenen Spiralarme von den Zwischenarmgebieten zu trennen. Daher sind Beobachtungen von nahen Galaxien von großer Bedeutung.

Die ersten Projekte konzentrierten sich auf die Kartierung naher, aktiver Galaxien wie M82 oder NGC253. Schon mit dem Vorläufer des aktuellen Detektors (er hatte 7 Kanäle) gelangen aber auch Aufnahmen von "normalen" Galaxien wie NGC891 - eine Spiralgalaxie, die wir von der Kante sehen - und M51, einer großen Spiralgalaxie im Sternbild Jagdhund. Diese beiden Galaxien sind unserer Milchstraße sehr ähnlich und dienen immer wieder als Vergleich, wenn globale Eigenschaften untersucht werden sollen. Solche Eigenschaften sind z.B. die Spiralstruktur und die großräumige Verteilung der interstellaren Materie.

Die Kartierung von M51 (Abb. 5) zeigte, daß die Emission des Staubes und die der CO-Moleküle sehr ähnlich verteilt sind. Beinahe jede einzelne Gaskonzentration (lokale Maxima in der CO-Karte) hat eine direkte Entsprechung in der Karte der Staubverteilung. Die relative Intensität der einzelnen Klumpen ist natürlich nicht identisch und läßt auf verschiedene Bedingungen für diese beiden Komponenten schließen. Es ist bemerkenswert, daß weder das molekulare Gas noch der Staub ihr Maximum im Zentrum der Galaxie haben, das doch die bei weitem stärkste Materiekonzentration ist. Die Spiralstruktur ist jedoch sehr deutlich ausgeprägt und läßt sich über einen großen Winkelbereich verfolgen.

Ein ähnliches Bild ergibt sich für NGC891, die von der Kante gesehen wird. Hier können wir keine Spiralstruktur ableiten; da wir aber für jeden Punkt entlang der Achse der Galaxie die Strahlung entlang des gesamten Sehstrahles durch die Scheibe aufsummiert empfangen, sind auch schwächere Komponenten noch nachweisbar. Wir erhalten so gewissermaßen ein Profil der Scheibe. Dieses Profil zeigt, daß ein großer Teil des Staubes im Zentralgebiet konzentriert ist. Von dort aus fällt die Konzentration aber nicht gleichmäßig ab, wie man es von der optischen Helligkeit her kennt. Vielmehr zeigt sich, daß die Emission nach einem relativ steilen Abfall im Inneren der Galaxie wieder ansteigt; diese Nebenmaxima haben einen Abstand von etwa 12 Tausend Lichtjahren vom Zentrum. Wenn man zu ihrer Interpretation die gemessenen Geschwindigkeiten der CO-Moleküle hinzunimmt, ergibt sich, daß das molekulare Gas und der Staub in einem Ring konzentriert sein müssen, der das Zentrum umgibt. Solch ein Ring wird auch im inneren Bereich der Milchstraße vermutet. Die relative Stärke der Maxima entlang des Profils scheint mit dem Typ der Galaxie zusammenzuhängen.

Durch das 1995 erstmals benutzte 19-Kanal-Bolometer sind nun auch Messungen an relativ schwachen Objekten möglich geworden. Wir kartierten mehrere andere nahe Galaxien. Am Beispiel der Galaxie NGC4565 wird eine neue, aufregende Entdeckung beschrieben. Die Kartierung begann im Zentrum und zeigte zunächst die vertraute Struktur mit dem zentralen Maximum und dem Ring. Offensichtlich ist aber hier weniger Staub in der Nähe des Kerns konzentriert - die drei Maxima erreichen annähernd dieselbe Stärke. Zu unserer Überraschung nahm aber dann die Stärke der Staubemission nicht in der gleichen Weise ab wie bei den bereits bekannten Galaxien, sondern blieb deutlich sichtbar bis in den Außenbereich der Scheibe. Abbildung 6 zeigt eine ausgedehnte Staubemission entlang der optischen Ausdehnung der Galaxie. Die nachgewiesene CO-Strahlung ist auf den inneren Teil der optischen Aufnahme begrenzt. Der Staub ist bei viel größeren Radien als die Linienstrahlung der CO-Moleküle nachweisbar, daher ist es möglich, die bereits erwähnten verschiedenen Anteile getrennt zu untersuchen: den Staub in den Wolken atomaren Gases und den Staub in den Wolken molekularen Gases. Die abgeleiteten Temperaturen liegen für NGC4565 bei 18K im inneren Bereich der Galaxie und im äußeren Teil sogar bei nur 15K. Es war lange Zeit nicht klar, daß derart kalter Staub in Galaxien existiert und deshalb erreichten die Abschätzungen der Staubmasse nur etwa ein Zehntel des heute angenommenen Wertes.

Der Vergleich der Staubeigenschaften im Innen- und im Außenbereich zeigt aber auch, daß es selbst bei konstanter Temperatur große Unterschiede gibt in der „Helligkeit” der Staubkörner. In Wolken molekularen Gases strahlen sie etwa zwei- bis viermal so stark wie in Wolken atomaren Gases. Daher kommt die gute Korrelation der Staubemission mit der der CO-Linien. Erst dort, wo keine Moleküle mehr vorhanden sind, wird der andere Anteil sichtbar.

Max-Planck-Gesellschaft Jahrbuch 1996. Copyright © 1996 Max-Planck-Institut f. Radioastronomie.

ur 3/2013

Zur Redakteursansicht