Forschungsbericht aus dem Jahrbuch 2004

Die Suche nach Biomolekülen in Interstellaren Wolken

The search for biomolecules in the interstellar medium

Autoren
Menten, Karl M.
Abteilungen
Zusammenfassung
Mit dem Einsatz von innovativen Detektoren an den leistungsfähigsten Teleskopen bei Radio- und (Sub)millimeter-Wellenlängen ist die Suche nach komplexen, organischen Molekülen im interstellaren Medium in eine neue Phase getreten. Besonders in den dichten, warmen Hüllen leuchtkräftiger Protosterne werden immer komplexere chemische Verbindungen entdeckt. Die von dichten, heißen Molekülwolken gefüllte Umgebung des Zentrums unserer Galaxis nimmt bei diesen Studien eine Sonderstellung ein: Dort werden mehr solcher Moleküle gefunden als in jeder anderen Region.
Summary
The availability of innovative detectors at the world's most powerful radio and (sub)millimeter telescopes has opened new vistas in the search for complex organic molecules in the interstellar medium. In particular, in the dense, warm envelopes of luminous protostars one detects ever more complex chemical compounds. The neighborhood of our Galactic center, which is filled with dense, hot molecular clouds, is of special interest: Here one detects a greater variety of such molecules than anywhere else.

Komplexe Moleküle im Universum

Von 1965 bis heute wurden im interstellaren Medium und in zirkumstellaren Hüllen 126 verschiedene Molekülsorten gefunden. Auch dieser Tage werden noch immer "neue" Moleküle entdeckt, mit einer Rate von ca. 2 pro Jahr. Durch jede dieser Entdeckungen wird das Bild der Chemie unseres Universums bereichert - in oft überraschender Weise.

Ein großer Teil dieser Molekülsorten ist organischer Natur. Deshalb ist derzeit insbesondere die Suche nach sog. "Biomolekülen" von großem Interesse. So wurde vor ca. 2 Jahren erstmals die Beobachtung der einfachsten Aminosäure, Glyzin, im interstellaren Medium gemeldet. Diese "Entdeckung" ist allerdings noch äußerst kontrovers und bedarf einer Bestätigung.

Mit zunehmender Komplexität eines Moleküls wächst die Zahl seiner möglichen Strahlungsübergänge rapide an, die Zustandssumme nimmt zu, die Intensität einer einzelnen Linie entsprechend ab. Anstelle weniger, aber starker Linien muss für Suchtechniken nach Biomolekülen also ein Ensemble vieler schwacher Linien im Vordergrund stehen. Da die Zustandssumme, die ja die Verteilung der Moleküle auf die einzelnen Energieniveaus beschreibt, naturgemäß auch mit der Temperatur ansteigt, sollte man meinen, dass die Beobachtung der kältesten molekülreichen Objekte, der kalten interstellaren Dunkelwolken mit einer Temperatur um 10 K, am Erfolg versprechendsten wäre. Anregungen bei Gastemperaturen um 10 K entsprechen Emissionsfrequenzen im Zentimeter- und langwelligen Millimeterbereich. Weil die Intensität von Linienemission mit der Frequenz sehr stark anwächst, kann man abschätzen, dass das Frequenzfenster zwischen ca. 15 und 150 GHz (2 mm - 2 cm Wellenlänge) optimal für die Entdeckung komplexer Moleküle ist. Max-Planck-Forscher benutzen die bei diesen Wellenlängen leistungsfähigsten Teleskope (Abb. 1).

Sagittarius B2 - Die Heimat der großen Moleküle

Zwar wurden in der Tat eine Reihe von neuen Molekülen in kalten Dunkelwolken gefunden, doch wurden während des letzten Jahrzehnts überraschenderweise immer mehr komplexe Moleküle in unmittelbarer Umgebung extrem leuchtkräftiger, massereicher Protosterne entdeckt. Diese Objekte sind noch tief eingebettet in dichtes, warmes, plazentales Material, welches von ihrer Entstehung übrig geblieben ist. Weshalb kann man dort solche Mengen an komplexen Molekülen beobachten? Man nimmt an, dass chemische Reaktionen in den Eismänteln von Staubkörnern, auf denen auftreffende einfache Moleküle haften bleiben, komplexe Verbindungen mit hoher Effizienz erzeugen. Sobald der Stern zündet, wird das Eis verdampft, und die Moleküle gelangen in die Gasphase.

Eine der prominentesten dieser Molekülquellen befindet sich im Kern der Riesenmolekülwolke Sagittarius B2, in der sich eines der aktivsten Sternentstehungsgebiete unserer Galaxis befindet. Nur 400 Lichtjahre vom galaktischen Zentrum entfernt (Abb. 2), finden sich in einem dichten, über 200 K heißen Kern mehr komplexe Molekülsorten als in jeder anderen bekannten Region. Prof. Lewis Snyder (University of Illinois, ehemaliger Humboldt-Forschungspreisträger am MPIfR), einer der erfolgreichsten Moleküljäger, hat (voller Stolz auf seine deutschen Ursprünge) diese Quelle "Large Molecule Heimat" (LMH) getauft. Dort wurden neben Alkoholen und Formaldehyd z. B. Ameisensäure, Essigsäure, Azeton, Glykoaldehyd (der einfachste Zucker) und Ethylenglykol entdeckt.

Seit 2003 analysieren wir den gesamten mit dem 30-m-Teleskop von IRAM (Abb. 1) beobachtbaren Frequenzbereich in systematischer Weise. Bei solchen Durchmusterungen, in denen unsere Gruppe große Erfahrung hat, wird der ganze von einem Empfänger überdeckte Bereich mit gleichmäßigem Rauschpegel beobachtet. Bislang wurde das Intervall von 75 - 110 Gigahertz (2.7 - 4 mm) durchgekämmt. Die Komplettierung bis 116 GHz, der Obergrenze des so genannten "3-Millimeter-Fensters", ist im Gange.

In diesem Bereich haben wir viele Hunderte Spektrallinien entdeckt, wovon ein großer Teil zurzeit noch nicht identifiziert ist (Abb. 3). In einer konzertierten Aktion mit dem Spektroskopielabor der Universität zu Köln versuchen wir, diese "U-Linien" zu identifizieren. Eines der Ziele dabei ist es, neue Spezies wie z.B. Aminoacetonitril CNH2CH2CN, chemisch gesehen eine Vorstufe von Glyzin) aufzuspüren.

Bisher nicht identifizierte Moleküle haben in der Regel eine geringe Häufigkeit und daher nur schwache Spektrallinien. Um eine sichere Identifikation zu gewährleisten ist es also erstens nötig, möglichst viele Linien der Kandidaten-Spezies zu beobachten, wobei deren relative Intensitäten durch eine Temperatur zu beschreiben sein müssen. Zweitens braucht man Labordaten für möglicherweise "kontaminierende" Molekülsorten. Die Entscheidung, welche Spezies berücksichtigt werden müssen, sowie die Durchführung der relevanten Messungen sind schwierige, aber nicht unlösbare, Probleme.

Eine riesige organische Molekülwolke um das galaktische Zentrum

In "normalen Molekülwolken" findet man räumlich ausgedehnte Emission praktisch nur bei dem relativ häufigen und leicht zu beobachtenden Molekül Kohlenmonoxid (CO). (Das mit Abstand häufigste Molekül, H2, strahlt unter Normalbedingungen praktisch gar nicht.) Nach vorherrschender Meinung treten komplexe Moleküle nur in dichten, heißen Kernen auf. Entsprechend überrascht waren wir, als wir sehr starke Emission von Methylalkohol (CH3OH) in der gesamten galaktischen Zentrumsregion, in der man CO sieht, beobachten konnten, d.h. insb. im ganzen Bereich der Radioemission (Abb. 2). Das Gas in dieser Region ist mit 200 K viel heißer als in typischen Molekülwolken (20 - 30 K).

Eine denkbare Ursache der hohen Methanolhäufigkeiten in der Gasphase wäre wiederum die Verdampfung von Eiskornmänteln. Wie solch große Mengen an Methanol und, wie weitere Messungen zeigen, anderen, und sogar komplexeren Molekülen, in Staubkornmänteln angereichert werden können, ist noch ungeklärt, ebenso der hochenergetische Mechanismus, mit dem das Gas großräumig auf die zur Verdampfung nötigen Temperaturen aufgeheizt wird. Durch Wolkenkollisionen erzeugte Schockwellen sind eine Möglichkeit.

Eine goldene Zukunft für die Molekülspektroskopie mit innovativer Digitaltechnologie

Liniendurchmusterungen mit dem Ziel, neue Molekülsorten zu entdecken, kosten sehr viel teure Teleskopzeit, da die Emission noch unentdeckter Spezies im allgemeinen recht schwach ist. Zudem ist Sgr B2, die erfolgversprechendste Quelle, in Effelsberg nur für ca. 1.5 Stunden pro Tag beobachtbar, auf dem Pico Veleta für wenige Stunden. Deshalb sind empfindliche Überdeckungen von großen Frequenzbereichen nur mit einer großen Anzahl von Frequenzeinstellungen durchführbar und mithin extrem zeitaufwändig - herkömmliche Spektrometer haben eine begrenzte Bandbreite von maximal einem Gigahertz und Dutzende von GHz müssen überdeckt werden!

Wir verfolgen die neuesten Entwicklungen in der Digitalelektronik mit größtem Interesse, weil es aufgrund von Moore’s Law heutzutage möglich ist, ein auf der Fast Fourier Transform (FFT)-Technologie basierendes Spektrometer mit 16 GHz Bandbreite in einem machbaren Kostenrahmen zu realisieren. Damit könnte man den gesamten für Effelsberg relevanten Frequenzbereich mit einer einzigen Einstellung überdecken anstatt, wie derzeit allein möglich, mit 40 aufeinanderfolgenden. (Das derzeit in Effelsberg eingesetzte Spektrometer hat eine Bandbreite von 400 MHz.) Dieser Gewinnfaktor wird noch einmal mehr als verzehnfacht(!) für Quellen mit schmaleren Linien als Sgr B2, die eine entsprechend höhere Spektralauflösung benötigen.

Mit solchen FFT-Spektrometern wird es möglich sein, "chemical fingerprints" einer größeren Anzahl von Molekülquellen zu bestimmen, die im allgemeinen schwächere Emission zeigen als Sgr B2. Dies würde unser Bild der Chemie in dichten, heißen Sternentstehungsregionen (und natürlich vielen anderen Quellen) signifikant erweitern und insbesondere die Verteilung biologisch interessanter Moleküle auf galaktischer Skala erhellen (Arnaud Belloche, Claudia Comito, Carolin Hieret, Silvia Leurini, Karl Menten, Peter Schilke).

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