Forschungsbericht aus dem Jahrbuch 2012
Staubtori in aktiven galaktischen Kernen
Dusty tori in active galactic nuclei
Einleitung
Bei aktiven galaktischen Kernen (Active Galactic Nuclei, kurz AGN) handelt es sich um die Zentralbereiche von Galaxien, in denen gewaltige Energiemengen freigesetzt werden. Mit Leuchtkräften von mehreren Milliarden bis Billionen von Sonnenleuchtkräften stellen sie die hellsten, über längere Zeiträume hinweg aktiven Objekte des Universums dar. Wegen der großen Energiemengen, die über das gesamte elektromagnetische Spektrum verteilt freigesetzt werden, haben sie Einfluss auf die Entwicklung von Galaxien und damit auf das Erscheinungsbild des Universums.
Die enormen von AGNs abgestrahlten Energiemengen werden durch die Akkretion von Materie auf ein supermassereiches Schwarzes Loch in einer Akkretionsscheibe erzeugt. Dabei erhitzt sich die Materie und strahlt diese Energie wieder ab. Die Akkretionsscheibe ist von einer torusartigen Struktur aus Gas und Staub umgeben. Dieser Torus ermöglicht, je nach Beobachtungsrichtung, eine direkte Sicht zur Akkretionsscheibe oder auch nicht: Wird der Torus aus einer achsnahen Richtung betrachtet, dann ist die Akkretionsscheibe im Inneren des Torus direkt sichtbar und man spricht von einem Typ-1-AGN; versperrt ein von der Seite gesehener Torus die Sicht zum Zentrum, dann wird das Objekt als Typ-2-AGN bezeichnet. Mit diesem sogenannten "vereinheitlichenden Schema" können verschiedene Erscheinungsformen von aktiven galaktischen Kernen durch ein einziges Modell erklärt werden. Darüber hinaus stellt der Torus das Reservoir an Material dar, welches die Akkretionsscheibe und das Schwarze Loch "füttert". Das Ziel von Untersuchungen des Torus ist, durch direkte Beobachtungen seine Struktur und seine physikalischen Eigenschaften zu charakterisieren und somit zu verstehen, wie Material aus der Galaxie durch den Torus auf die Akkretionsscheibe strömt.
Infrarot-Interferometrie
Durch die Strahlung der heißen Akkretionsscheibe wird der Staub im Torus auf Temperaturen bis zu 1500 K aufgeheizt. Seine Wärmeenergie strahlt der Staub wiederum als Infrarotstrahlung ab. Diese Infrarotstrahlung erscheint allerdings selbst in den größten Teleskopen als unaufgelöste Punktquellen. Nur mithilfe interferometrischer Methoden ist es möglich, die Staubverteilungen direkt aufzulösen und somit die Struktur der Tori zu erforschen. Bei dieser Technik wird das Licht von zwei oder mehreren einzelnen Teleskopen überlagert (interferiert). Damit lassen sich Auflösungen erreichen, die dem Abstand der Einzelteleskope proportional sind. Durch Messungen mit Teleskopen in unterschiedlichen Abständen und Positionswinkeln lässt sich die Helligkeitsverteilung der Quelle untersuchen. Interferometrische Messungen von AGN-Tori können derzeit nur mit dem Very Large Telescope Interferometer (VLTI) der Europäischen Südsternwarte (ESO) in Chile und mit dem amerikanischen Keck-Interferometer auf Hawaii durchgeführt werden.
Der Staubtorus in der Circinus-Galaxie
Die Circinus-Galaxie (Abb. 1, links) ist eine der uns nächsten Galaxien mit einem aktiven galaktischen Kern. Diese Galaxie weist typische Eigenschaften eines Typ-2-AGNs auf. Der Torus in diesem AGN sollte daher auf der Seite liegen. Als im Infraroten zweithellste aktive Galaxie am Himmel, eignet sich die Circinus-Galaxie besonders gut zur Untersuchung der zentralen Staubverteilung.
In den letzten Jahren wurden deshalb umfangreiche interferometrische Messungen am VLTI mit dem MIDI-Instrument (MID-infrared Interferometric instrument) durchgeführt. Für die Beobachtungen im Spektralbereich zwischen 7 μm und 13 μm wurden jeweils zwei der vier 8,2m- bzw. 1,8-m-Teleskope des VLTIs zusammengeschalten und das interferometrische Signal für Teleskopabstände zwischen 12 m und 90 m gemessen. Um die interferometrischen Daten zu analysieren, wurde ein Modell aus zwei elliptischen Gauß-Komponenten verwendet, die Schwarzkörperstrahlung einer bestimmten Temperatur aussenden. Die Anpassung dieses Modells an die interferometrischen Daten ergibt eine kompakte Komponente mit einer Ausdehnung von etwa 9×18 Millibogensekunden (0,2×0,4 Parsec) und einem Positionswinkel der langen Achse von 43° sowie eine ausgedehntere Komponente mit einer Größe von 55×99 Millibogensekunden (etwa 1×2 Parsec). Die Helligkeitsverteilung dieses Modells ist in Abbildung 1 oben rechts dargestellt.
Die kompaktere dieser beiden Torus-Komponenten stimmt in ihrer Größe und vor allem auch in ihrer Orientierung mit einer von der Seite gesehenen und leicht gebogenen Wassermaser-Scheibe überein, die mit Radiointerferometrie gemessen wurde [1]. Daher wird die 0,2×0,4 Parsec-Komponente als relativ dichte, möglicherweise turbulente Staubscheibe interpretiert. Sie steht senkrecht auf einer Ausströmung und einem Ionisationskonus, die auf größeren Skalen beobachtet werden (Abb. 1, rechts unten). Bei einem Ionisationskonus handelt es sich um den kegelförmigen Raum, in dem die Strahlung der Akkretionsscheibe ungehindert entweichen kann. Das Gas in diesem Raum wird durch die Strahlung der Akkretionsscheibe angeregt und der Konus somit sichtbar. Die Orientierung des Staubtorus in der Circinus-Galaxie stimmt damit sehr gut mit den Erwartungen aus dem vereinheitlichenden Schema überein, in welchem die Ausströmungen und die Ionisationkoni senkrecht auf dem Torus stehen sollten.
Da das MIDI-Instrument Interferogramme im Wellenlängenbereich von 8 μm bis 13 μm aufnimmt, lässt sich auch die Temperatur des Staubes abschätzen. Interessanterweise sind die Temperaturen der beiden Komponenten fast gleich, nämlich etwa 300 K. Dies ist überraschend, da zu erwarten wäre, dass der kompakte Torus, der näher an der Akkretionsscheibe liegt, auf höhere Temperaturen aufgeheizt wird. Die Ursache für die unerwartete Temperaturverteilung könnte eine besondere Geometrie der Staubverteilung oder aber eine Variabilität der Akkretionsscheibe sein.
Messungen von Staubtori in anderen Galaxien
Mit dem MIDI-Instrument am VLTI und dem Keck-Interferometer auf Hawaii wurde außer dem Circinus-Galaxienkern auch eine größere Zahl von weiter entfernten aktiven galaktischen Kernen gemessen [2-5]. Die aus den interferometrischen Messungen abgeleiteten Torus-Größen wurden als Funktion der UV-Leuchtkraft des AGNs untersucht. Einem sehr einfachen Modell zufolge wäre der Radius des Staubtorus proportional zur Wurzel der UV-Leuchtkraft: Ein vierfach hellerer Kern würde einen doppelt so großen Torus aufweisen.
Abbildung 2 zeigt die abgeleitete Radius-Leuchtkraft-Beziehung für Typ-1-AGNs bei den Wellenlängen 2,2 μm (Messung mit dem Keck-Interferometer), 8,5 μm und 13 μm (MIDI-Messungen) [5]. Die schwarze gepunktete Linie verdeutlicht die Radius-Leuchtkraft-Beziehung für einen Anstieg des Radius mit der Wurzel der UV-Leuchtkraft und wurde aus Messungen von Lichtlaufzeiten (Reverberation-Methode) abgeleitet [6]. Man sieht, dass die interferometrisch gemessenen 2,2 μm-Radien ungefähr mit den Messungen der Reverberation-Methode übereinstimmen. Die 8,5- und 13 μm-Messungen in Abbildung 1 und weitere Messungen [7] zeigen dagegen viel größere Radien und andere Steigungen. Weitere Messungen mit erhöhter Präzision von sowohl Typ-1- als auch Typ-2-AGNs werden nötig sein, um die Abhängigkeit der Torusgrößen von Wellenlänge, Leuchtkraft und AGN-Typ genauer zu bestimmen.