Die frühe Abkühlung unseres Universums

Der Schatten einer kosmischen Wasserwolke zeigt die Temperatur des jungen Universums

2. Februar 2022

Eine internationale Gruppe von Astrophysikern, darunter Axel Weiß vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn, hat eine neue Methode zur Messung der Temperatur der kosmischen Mikrowellen-Hintergrundstrahlung im jungen Universum nur 880 Millionen Jahre nach dem Urknall entwickelt. Es ist das erste Mal, dass die Temperatur der kosmischen Mikrowellen-Hintergrundstrahlung - ein Überbleibsel der beim Urknall freigesetzten Energie - in einer so frühen Epoche des Universums gemessen werden konnte. Das derzeitige kosmologische Modell geht davon aus, dass sich das Universum seit dem Urknall abgekühlt hat - und immer noch weiter abkühlt. Das Modell beschreibt ebenso, wie der Abkühlungsprozess verlaufen sollte, konnte aber bisher nur für relativ junge kosmische Epochen direkt bestätigt werden. Die Entdeckung setzt nicht nur einen sehr frühen Meilenstein für die Entwicklung der kosmischen Hintergrundtemperatur, sondern könnte auch Auswirkungen auf die rätselhafte Dunkle Energie haben.

Das Ergebnis wird in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift "Nature" veröffentlicht.



 

Die Wissenschaftler nutzten das „Northern Extended Millimeter Array“ (NOEMA) in den französischen Alpen, das leistungsstärkste Radioteleskop der nördlichen Hemisphäre, um die Quelle HFLS3 zu beobachten, eine Galaxie in einer Phase heftiger Sternentstehung („Starburst-Galaxie“) in einer Entfernung, die einem Alter von nur 880 Millionen Jahren nach dem Urknall entspricht. Sie entdeckten darin eine Abschirmung aus kaltem Wassergas, die einen Schatten auf die kosmische Mikrowellen-Hintergrundstrahlung wirft. Der Schatten entsteht, weil das kältere Wasser die wärmere Mikrowellenstrahlung auf ihrem Weg zur Erde absorbiert und die Dunkelheit des Schattens offenbart den Temperaturunterschied.  Da die Temperatur des Wassers aus anderen beobachteten Eigenschaften des Starbursts abgeleitet werden kann, weist der Unterschied auf die Temperatur der kosmischen Hintergrundstrahlung zu diesem Zeitpunkt hin, die etwa sechsmal höher lag als im heutigen Universum.

"Diese Entdeckung ist nicht nur ein Beweis für die Abkühlung, sondern zeigt uns auch, dass das Universum in seinen Anfängen einige ganz bestimmte physikalische Eigenschaften hatte, die heute nicht mehr existieren", sagt der Erstautor, Prof. Dominik Riechers vom Institut für Astrophysik der Universität zu Köln. "Schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt, etwa 1,5 Milliarden Jahre nach dem Urknall, war der kosmische Mikrowellenhintergrund zu kalt, um diesen Effekt beobachten zu können. Wir haben also ein einzigartiges Beobachtungsfenster, das sich nur für ein sehr junges Universum öffnet", erklärt er weiter. Mit anderen Worten: Würde heute eine Galaxie mit ansonsten identischen Eigenschaften wie HFLS3 existieren, wäre der Wasserschatten nicht beobachtbar, weil der erforderliche Temperaturkontrast nicht mehr vorhanden wäre.

 „Das ist ein wichtiger Meilenstein, der nicht nur den erwarteten Abkühlungstrend für eine viel frühere Epoche als bisher möglich bestätigt, sondern auch direkte Auswirkungen auf die Natur der schwer fassbaren Dunklen Energie haben könnte", sagt Dr. Axel Weiß vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie (MPIfR) in Bonn, der Zweitautor der Studie. Er erklärt weiter: "Das heißt, dass wir ein expandierendes Universum haben, in dem sich die Dichte der Dunklen Energie nicht ändert." Dunkle Energie wird als eine Ursache für die beschleunigte Expansion des Universums in den letzten Milliarden Jahren angesehen. Ihre Eigenschaften sind allerdings nach wie vor schlecht verstanden, da sie mit den derzeit verfügbaren Einrichtungen und Instrumenten nicht direkt beobachtet werden kann. Diese Eigenschaften beeinflussen jedoch die Entwicklung der kosmischen Expansion und damit die Abkühlungsrate des Universums auf kosmischer Zeitskala. Auf der Grundlage des vorliegenden Experiments bleiben die Eigenschaften der Dunklen Energie - vorerst - konsistent mit denen der „kosmologischen Konstante" von Einstein.

Nachdem das Team eine kalte Wasserwolke in solch großer Entfernung entdecken konnte, macht es sich nun auf die Suche nach vielen weiteren am Himmel. Ziel dabei ist es, die Abkühlung der kosmischen Hintergrundstrahlung in den ersten 1,5 Milliarden Jahren der Geschichte des Universums zu kartieren. „Diese neue Technik gibt uns wichtige neue Einblicke in die Entwicklung des Universums, einschließlich der Eigenschaften der Dunklen Energie, die sonst in solch frühen Epochen nur sehr schwer zu bestimmen sind", so Riechers.

„Unser Team verfolgt dieses Projekt bereits weiter, indem es die Umgebung anderer Galaxien mit NOEMA untersucht", sagt Co-Autor und NOEMA-Projektwissenschaftler Dr. Roberto Neri. „Mit den zu erwartenden Verbesserungen der Präzision durch Untersuchungen größerer Stichproben von Wasserwolken bleibt abzuwarten, ob unser derzeitiges, grundlegendes Verständnis der Dunklen Energie Bestand hat."

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Hintergrundinformation:

NOEMA, das "NOrthern Extended Millimeter Array", ist das leistungsstärkste Radioteleskop der nördlichen Hemisphäre. Das Observatorium befindet sich in einer Höhe von über 2500 Metern über dem Meeresspiegel auf einem der ausgedehntesten europäischen Hochgebirgsstandorte, dem „Plateau de Bure“ in den französischen Alpen.

Das Teleskop wird vom Institut de Radioastronomie Millimétrique (IRAM) betrieben und von der Max-Planck-Gesellschaft (Deutschland), dem Centre National de Recherche Scientifique (Frankreich) und dem Instituto Geografico Nacional (Spanien) finanziert.

Dominik Riechers (Universität zu Köln) führte die Studie zusammen mit seinen Kollegen Axel Weiß (Max-Planck-Institut für Radioastronomie, MPIfR), Fabian Walter (Max-Planck-Institut für Astronomie, MPIA), Christopher L. Carilli (National Radio Astronomy Observatory, NRAO), Pierre Cox (Centre National de Recherche Scientifique, CNRS), Roberto Decarli (INAF -Osservatorio di Astrofisica e Scienza dello Spazio), und Roberto Neri (Institut de RadioAstronomie Millimétrique, IRAM) durch.

Die Untersuchung wurde finanziert von der US National Science Foundation (NSF), der Alexander von Humboldt-Stiftung (AvH), der Max-Planck-Gesellschaft (MPG), dem Centre national de la recherche scientifique (CNRS) und dem Instituto Geográfico Nacional (IGN).

 

 

 

 

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