Sonnenschutz für den Großen Hund

Astronomen entdecken um den Sternriesen VY Canis Majoris Titanoxid und Titandioxid

27. März 2013
Einem internationalen Team unter Leitung von Forschern des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie und der Universität zu Köln ist es gelungen, zwei Titanoxid-Moleküle in der ausgedehnten Atmosphäre um einen gewaltigen Stern zu identifizieren. Das Objekt VY Canis Majoris ist einer der größten Sterne überhaupt und steht am Ende seines Lebenszyklus. Die Entdeckung gelang mit Radioteleskop-Netzwerken in den USA und in Frankreich.

VY Canis Majoris (VY CMa) ist ein veränderlicher Stern im Bild Großer Hund – und hat eine besondere Eigenschaft: „Es ist einer der größten Sterne, die wir kennen, und er steht nahe am Ende seines Lebens“, sagt Tomasz Kamiński vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn. Dieser Stern mit dem 1000- bis 2000-fachen Durchmesser der Sonne würde fast die Umlaufbahn des Saturns erreichen, könnte man ihn ins Zentrum unseres Planetensystems platzieren.

VY CMa bläst große Mengen Material von seiner Oberfläche ab, das eine unregelmäßige Staubwolke um ihn herum bildet. Dieser Nebel wird dadurch sichtbar, dass darin enthaltene kleine Partikel das Licht des Zentralsterns reflektieren. Die komplexe Struktur eines solchen Nebels stellt die Astronomen seit Jahrzehnten vor ein Rätsel: Zwar gilt er als das Resultat eines Sternwinds, aber die Ursache seiner äußerst unregelmäßigen Struktur kennen die Astronomen nicht genau.

Die Forscher grübeln ebenfalls noch über den Mechanismus, der den Wind antreibt, wodurch sich also das Material von der Sternoberfläche wegbewegt und im umgebenden Raum ausdehnt. „Das Schicksal von VY CMa wird sein, als Supernova zu explodieren, aber wir wissen nicht genau, wann das tatsächlich stattfindet“, sagt Karl Menten, Leiter der Forschungsabteilung Millimeter- und Submillimeter-Astronomie am Bonner Max-Planck-Institut.

Die Beobachtungen bei verschiedenen Wellenlängen resultieren in vielen für atomares und molekulares Gas charakteristischen Einzelinformationen. Daraus lassen sich die physikalischen Eigenschaften eines kosmischen Objekts ableiten. Jedes Molekül sendet Strahlung in ganz bestimmten Linien aus. Sie stellen eine Art Strichcode dar, mit dessen Hilfe sich die Moleküle im Nebel identifizieren lassen.

„Die Strahlung in kurzen Radiowellenlängen, den sogenannten Submillimeter-Wellen, ist für die Untersuchung von Molekülen und deren Eigenschaften hervorragend geeignet“, sagt Sandra Brünken von der Universität zu Köln. „Die Identifizierung der Moleküle ist leichter möglich. Und normalerweise kann man auch eine größere Anzahl von Molekülen beobachten als in anderen Bereichen des elektromagnetischen Spektrums.“

Auf diese Weise hat das Team zum ersten Mal Titanoxid (TiO) und Titandioxid (TiO2) bei Radiowellenlängen beobachtet. Titandioxid war im Kosmos niemals zuvor identifiziert worden. Dieses Molekül spielt in unserem irdischen Alltag durchaus eine Rolle: Es ist Hauptbestandteil des unter Malern als „Titanweiß“ bekannten Farbpigments, außerdem eine Zutat von Sonnenschutzmitteln und wird schließlich zur Färbung von Lebensmitteln benutzt (Codenummer E171).

Theoretische Überlegungen lassen vermuten, dass Sterne – und zwar speziell solche mit sehr geringen Oberflächentemperaturen – in großen Mengen Titanoxide produzieren, die der Sternwind nach außen transportiert. „Titanoxide neigen dazu, sich in Form von Staubpartikeln zusammenzuballen, die dann im Optischen oder im Infraroten sichtbar werden“, sagt Nimesh Patel vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics. „Und die katalytische Wirkung von Titandioxid beeinflusst vermutlich die chemischen Prozesse, die auf den Staubkörnern stattfinden“, ergänzt Holger Müller von der Universität zu Köln. „Das ist sehr wichtig für die Entstehung von größeren Molekülen im Weltraum.“

Absorptionsbanden von Titanoxid im sichtbaren Bereich des Spektrums sind seit mehr als 100 Jahren bekannt. Tatsächlich benutzt man diese Linien sogar zur Klassifikation von bestimmten Sterntypen mit niedrigen Oberflächentemperaturen (Spektraltyp M und S). Das Pulsationsverhalten von Mira-Sternen, einer bestimmten Klasse von Veränderlichen, wird auf den Einfluss von TiO zurückgeführt. Mira-Sterne sind veränderliche Überriesensterne in einem sehr späten Entwicklungsstadium, benannt nach dem Prototypen Mira („die Wundervolle“) im Sternbild Cetus (Walfisch).

Beobachtungen von TiO und TiO2 zeigen, dass diese beiden Moleküle in der Umgebung von VY CMa in größerer Menge existieren – und zwar in Bereichen, welche die Theorie mehr oder weniger vorhersagt. Es scheint jedoch, dass ein bestimmter Anteil dieser Moleküle keinen Staub bildet, sondern in der Gasphase vorliegt. Möglicherweise wurde der Staub im umgebenden Nebel zerstört; die Tatsache, dass Bestandteile des Sternwindes um VY CMa offenbar miteinander kollidieren, unterstützt ein solches Szenario.

Die neuen Entdeckungen in Submillimeter-Wellenlängen sollen vor allem dabei helfen, den Prozess der Staubentstehung zu erforschen. Bei optischen Wellenlängen hat man das Problem, dass die von den Molekülen ausgesandte Strahlung an Staubpartikeln in dem umgebenden Nebel gestreut wird und sich daraus ein verschwommenes Bild ergibt. Dieser Effekt lässt sich bei Radiowellen im Submillimeter-Bereich vernachlässigen und ermöglicht wesentlich präzisere Messungen.

Die Entdeckung von TiO and TiO2 im Spektrum von VY CMa erfolgte mit dem Submillimeter-Array (SMA), einem Radiointerferometer am Mauna Kea auf Hawaii. Da dieses Instrument insgesamt acht Einzelantennen miteinander verbindet, die ein virtuelles Teleskop von 226 Metern Durchmesser ergeben, gelangen Messungen mit bisher unerreichter Empfindlichkeit und Winkelauflösung. Eine Bestätigung der Entdeckungen erfolgte später mit dem Plateau-de-Bure-Interferometer (PdBI) des IRAM-Instituts in den französischen Alpen.

HOR / NJ

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