Physikalische Konstante besteht Alkoholtest
Grundlegende Eigenschaften von Molekülen haben sich in den vergangenen sieben Milliarden Jahren nicht verändert
Fundamentalen Naturkonstanten wie dem Proton-zu-Elektron-Massenverhältnis können Physiker nur durch Messungen näher kommen. Zwar ergeben alle erdgebundenen Experimente für dieses Verhältnis denselben Wert. Trotzdem wäre es theoretisch möglich, dass die Konstante sich in verschiedenen Regionen des Universums oder zu unterschiedlichen Zeiten in dessen Geschichte verändert hat. Um solche Abweichungen nachzuweisen, eignet sich das Methanol-Molekül als Messfühler.
Eine Reihe von Linien im Radiospektrum dieses Moleküls würden bei einer Änderung des Proton-zu-Elektron-Massenverhältnisses eine deutliche Frequenzverschiebung zeigen, während andere Linien von dieser Verschiebung nicht betroffen wären. Erst kürzlich hat eine Gruppe an der VU-Universität Amsterdam herausgefunden, welche Eigenschaft das Methanol zu einem solch empfindlichen Messfühler macht: Letztendlich handelt es sich dabei um einen Quantentunnel-Effekt, der zustande kommt, wenn die interne Rotation des Moleküls beeinträchtigt ist. Dieser Effekt führt zu sehr hohen Werten für die Empfindlichkeits-Koeffizienten der entsprechenden Spektrallinien, die sich alle einzeln berechnen lassen.
„Dadurch wird nun das Methanol-Molekül ein idealer Testfall, um eine mögliche zeitliche Veränderung des Proton-zu-Elektron-Massenverhältnisses zu entdecken”, sagt Wim Ubachs, Professor an der VU-Universität Amsterdam und Leiter des Physik-Departments. „Deshalb haben wir vorgeschlagen, nach Linienstrahlung von Methanol im fernen Universum zu suchen, um die Struktur der so gefundenen Moleküle mit der des Methanols in der heutigen Zeit in Laborexperimenten zu vergleichen.“
Das Team beobachtete eine Galaxie, in der bereits eine Reihe verschiedener Moleküle beobachtet worden waren. Die Galaxie, die in der Sichtlinie zu einer intensiv strahlenden Radioquelle namens PKS1830-211 steht, ist etwa sieben Milliarden Lichtjahre von der Erde entfernt. Mit ihrem Suchprogramm zielten die Wissenschaftler auf vier verschiedene Linienübergänge im Radiospektrum des Methanol-Moleküls. Mithilfe des 100-Meter-Radioteleskops in Effelsberg konnten sie auch tatsächlich alle vier Linien entdecken.
„Als optische Astronomin war es für mich eine interessante Erfahrung, Beobachtungen bei so großen Wellenlängen durchzuführen, wie sie im Radiobereich auftreten“, sagt Julija Bagdonaite, Doktorandin an der VU-Universität Amsterdam und Erstautorin der Veröffentlichung. „Das Methanol-Molekül hat diese Radiowellen bereits vor sieben Milliarden Jahren absorbiert, und die Wellen haben seinen Fingerabdruck aus ferner Vergangenheit auf ihrem Weg zur Erde mit sich getragen.“
Aus einer Analyse der Quantenstruktur des Methanol-Moleküls leiteten die Forscher ab, dass sich zwei von dessen Spektrallinien, die sie bei Frequenzen um 25 GHz beobachten, kaum von einer Änderung des Proton-zu-Elektron-Massenverhältnisses beeinflussen ließen. Die anderen beiden Linien reagieren viel empfindlicher auf eine Modifikation dieses Parameters.
“Die Quelle, die wir untersucht haben, ist von unseren Beobachtungsobjekten mit Abstand am besten geeignet, um die Gültigkeit unserer lokalen Physik auch in weit entfernten exotischen Umgebungen zu untersuchen“, sagt Christian Henkel vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie. „Es wäre phantastisch, wenn wir noch mehr Quellen dieser Art finden könnten, mit denen wir noch weiter in die Vergangenheit schauen könnten.“
Bei der Auswertung der Daten bezogen die Wissenschaftler auch systematische Effekte der Beobachtungen mit ein und kamen so zu folgendem Ergebnis: Das Massenverhältnis von Proton und Elektron hat sich im Lauf der vergangenen sieben Milliarden Jahre um einen Faktor von maximal 10-7 geändert und gilt damit zurecht als Naturkonstante. Dieses Ergebnis kann durchaus so interpretiert werden, dass die Struktur der molekularen Materie, wie aus spektralen Beobachtungen abgeleitet, sehr genau mit derjenigen vor sieben Milliarden Jahren übereinstimmt. Mögliche Abweichungen betragen nur ein Hunderttausendstel Prozent oder sogar weniger.
“Wenn wir tatsächlich Abweichungen in dieser fundamentalen Konstante finden würden, dann hätten wir ein Problem mit unserem Verständnis der Grundlagen der Physik“, schließt Karl Menten, Direktor am Max-Planck-Institut für Radioastronomie. „Vor allem wäre damit Einsteins Äquivalenzprinzip verletzt, das Herzstück der Allgemeinen Relativitätstheorie.“
NJ/ME/HOR