Schwarze Löcher im Radiolicht
W. Alef, H. Falcke, D. Graham, A. Kraus, T. Krichbaum, A. Lobanov, R. Porcas, E. Ros, A. Witzel, J.A. Zensus
Schwarze Löcher faszinieren Wissenschaftler und Laien gleichermaßen. Zwar gibt es heute viele gute Argument für ihre Existenz, aber gesehen hat sie bisher niemand. Dies ist nicht verwunderlich, denn die besondere Eigenschaft Schwarzer Löcher ist ja, dass sie Licht und Material unwiederbringlich verschlucken. Hinzu kommt, dass Schwarze Löcher im astrophysikalischen Maßstab sehr klein sind, so dass selbst Teleskope mit höchster Vergrößerung sie bisher nicht abzubilden vermochten. Dies könnte sich aber aufgrund der stürmischen Entwicklung der Radioastronomie in absehbarer Zeit ändern. Schon heute erreichen Radiointerferometer mit interkontinentalen Basislängen (VLBI) räumliche Auflösungen, die um Größenordnungen über denen anderer Methoden liegen und ein Ende dieser Entwicklung ist nicht abzusehen. Radiointerferometer sind daher nicht nur ideale Werkzeuge für das Studium Schwarzer Löcher in der Zukunft, auch jetzt schon sind sie hervorragend dafür geeignet, Schwarze Löcher in großer Zahl aufzuspüren, wie Studien am MPIfR in Bonn belegen.
Wie kann man nun Schwarze Löcher sehen? Ein Kuriosum Schwarzer Löcher ist, dass sie den Raum um sich herum so stark krümmen, dass selbst Licht nicht mehr zu einem entfernten Beobachter auf der Erde gelangen kann, sondern zum Schwarzen Loch hin abgelenkt wird. Der Punkt ohne Wiederkehr für Photonen ist dabei der »Ereignishorizont« - bei maximal rotierenden Schwarzen Löchern gegeben durch das Produkt aus Gravitationskonstante und Masse, geteilt durch die Lichtgeschwindigkeit im Quadrat (Rg=GM/c2). Alles, was sich hinter dem Ereignishorizont abspielt, entzieht sich unserer direkten Beobachtung. Ursache dieses Phänomens ist eine extrem hohe Massenkonzentration auf sehr kleinem Raum - die Masse der Erde auf einen Zentimeter Durchmesser konzentriert würde z.B. ein solches Schwarzes Loch ergeben. Eine so hohe Massenkonzentration entsteht durch große Massenansammlungen in den Zentren von Galaxien in den Anfängen des Kosmos oder auch durch Explosionen sehr großer Sterne (Supernovae).
Die große Masse Schwarzer Löcher führt nicht nur dazu, dass Licht abgelenkt wird, sondern sie zwingt auch Gas und Staub in ihrer Umgebung auf Spiralbahnen, die letztendlich im Ereignishorizont enden. Der größte Teil der einfallenden Masse und Energie verschwindet dann für immer von der kosmischen Bildfläche und nur einem kleinen Teil gelingt es zu entkommen, z.B. in Form von sogenannten Radiojets, wie sie inzwischen in vielen Kernen aktiver Galaxien, den besten Kandidaten für Schwarze Löcher, gesehen werden.
Das Einströmen in den Ereignishorizont wie auch das Entweichen der Radiojets passiert nicht lautlos, sondern die ein- und ausströmende Materie macht durch mehr oder weniger starke Emission von Photonen verschiedener Energie - vom Radio- bis zum Gammabereich - auf sich aufmerksam. Theoretisch sollten Photonen sogar in der direkten Nähe des Ereignishorizonts abgestrahlt werden, allerdings: je näher ein Photon am Schwarzen Loch abgestrahlt wird, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass es im Ereignishorizont verschwindet. Die Wahrscheinlichkeit dafür nimmt drastisch zu, sobald ein Photon innerhalb des »Photonenorbits« entsteht. Der Photonenorbit ist eine theoretische Bahn, auf der Licht unendlich oft um das Schwarze Loch kreisen kann. In der Realität bedeutet dies, dass Photonen, die sich auf Tangentialbahnen innerhalb des Photonenorbits befinden, früher oder später in das Loch hinein fallen, während Photonen auf ferneren Bahnen entkommen und entdeckt werden können (siehe Abbildung 1).
Das abrupte Verschwinden von Photonen sollte sich dann auch auf die visuelle Erscheinung eines Schwarzen Lochs auswirken. Eingebettet in einen leuchtenden Halo von aus- oder einfallendem Gas würde man dann das Schwarze Loch als einen »Schatten« davor erblicken.
In der Tat kann man solche Bilder auf dem Computer simulieren. Wenn man die Masse und die Rotation des Schwarzen Lochs vorgibt, ist die Bahn eines Photons von jedem Ort aus durch Einsteins allgemeine Relativitätstheorie festgelegt und kann berechnet werden. Durch ein Ray-Tracing-Verfahren, bei dem Lichtbahnen bis zum Beobachter verfolgt werden, entsteht dann im Computer ein vollständiges, virtuelles Bild der Umgebung eines Schwarzen Lochs.
Ein Beispiel für eine solche Rechnung wird in der linken Spalte von Abbildung 2 gezeigt. Man sieht deutlich den klaren, kreisförmigen Schatten im Zentrum der Emission. Dieser Schatten ist immer vorhanden, solange das Emissionsgebiet transparent (»optisch dünn«) ist. Die Position des Schattens ändert sich nur ein wenig zwischen einem rotierendem und einem nicht-rotierenden Schwarzen Loch und auch der Durchmesser ist nur wenig von der Rotation des Schwarzen Lochs abhängig - entscheidend ist hingegen die Masse. Als Näherungsformel kann man rechnen, dass der Schatten ungefähr einen Durchmesser von 10 mal dem Gravitationsradius, also DSchatten~10 GM/c2,hat. Der Schatten ist deutlich größer als der Ereignishorizont, weil unter anderem das Schwarze Loch als seine eigene Gravitationslinse funktioniert und so sein Bild vergrößert.
Der Durchmesser des Schattens wächst linear mit der Masse und die beobachtbare Größe am Himmel schrumpft linear mit der Entfernung. Die besten Kandidaten für die realistische Abbildung des Schattens sind also möglichst schwere Schwarze Löcher in relativ kleinem Abstand zum Beobachter. Aus diesem Grund ist das Zentrum unserer Milchstraße mit ihrer hellen Radioquelle, Sagittarius A*, das vielversprechenste Ziel. Messungen der Eigenbewegung von Sternen im Galaktischen Zentrum haben deutlich gezeigt, dass es sich bei dieser Quelle wahrscheinlich um das zentrale Schwarze Loch der Milchstraße handelt, mit einer relativ genau bestimmten Masse von 3 Millionen mal der Masse der Sonne. Die Größe des Schattens beträgt dann ungefähr den dritten Teil einer astronomischen Einheit und bei einer Entfernung von 8 kpc (2,5× 1020 m) zum Galaktischen Zentrum entspricht dies einer Größe am Himmel von ~40 Mikrobogensekunden.
Auf den ersten Blick mag dies sehr klein erscheinen, aber tatsächlich hat die VLBI-Gruppe des MPIfR mit 3mm-VLBI inzwischen schon Bilder von aktiven Galaxienkernen mit weltrekordverdächtigen 50 Mikrobogensekunden Auflösung gemacht. Die dazu verwandte Technik nennt sich Very-Long-Baseline-Interferometry (VLBI; siehe Abbildung 3). Dabei werden weltweit Radioteleskope kombiniert, deren Signale über einen VLBI-Korrelator - wie z. B. dem MKIV-Korrelator in Bonn, einem Rechner der neuesten Generation - korreliert und dann zu einem extrem hochaufgelösten Bild von Radioquellen zusammengesetzt. Die höchsten Bildschärfen (beste Auflösungen) werden bei den höchsten Frequenzen, also den kürzesten Wellenlängen, erreicht, d.h. inzwischen bei Wellenlängen um 3 mm (86 GHz). Interessanterweise zeigen Beobachtungen von Sagittarius A*, dass tatsächlich die Emission bei dieser Wellenlänge aus der direkten Umgebung des Schwarzen Lochs kommen muss. Hinzu kommt, dass die Emission von Sagittarius A* zu höheren Frequenzen heller und auch transparenter wird. Dies schafft geradezu ideale Verhältnisse, um den Schatten des Schwarzen Lochs wirklich zu entdecken.
Zur Zeit scheitert dies aber noch daran, dass interstellares Material in der Milchstraße entlang unseres Sehstrahles das Bild bei Wellenlänge um 3mm (und länger) - wie ein Milchglas - verwäscht. Dieser Effekt verschwindet aber bei kürzeren Wellenlängen und höheren Frequenzen. Dies alles führt dazu, dass die beobachtete Größe der Radioquelle Sagittarius A* mit abnehmender Beobachtungswellenlänge immer weiter abnimmt, so dass irgendwann unweigerlich der Ereignishorizont in den Blick kommen muss (Abbildung 4). Die VLBI-Gruppe arbeitet daher z.Zt. daran, VLBI bei sehr kurzen Wellenlängen durchzuführen. Erste Testmessungen bei 1,3 mm Wellenlänge bestätigen die technische Realisierbarkeit und deuten an, dass in Zukunft auch VLBI-Beobachtungen bei noch kürzeren Wellenlängen (z.B. 0,8 mm) möglich sein sollten.
Bisher hat tatsächlich ein Experiment funktioniert, dass sich in den für die allgemeine Relativitätstheorie interessanten Bereich vorgewagt hat. Dabei wurde die Quelle Sagittarius A* mit 1,4 mm VLBI entdeckt und man stieß erstmalig in einen Bereich vor, der ganz dicht an dem vorhergesagten Schatten lag. Allerdings erlaubte die Qualität dieser ersten Daten noch nicht, ein aussagekräftiges Bild zu rekonstruieren. Verbesserungen in der Signalgewinnung und Datenauswertung sind jedoch in Sicht und die Aussichten sind motivierend. Gelingt es uns mit VLBI zu den höchsten Frequenzen vorzustoßen, dann werden wir mit größter Wahrscheinlichkeit den Schatten des Schwarzen Lochs und seines Ereignishorizonts sehen können, seine noch hypothetische Existenz vorausgesetzt.
Schwarze Löcher in anderen Galaxien. - Sagittarius A* im Zentrum unserer Milchstraße ist aber nicht unsere einzige Hoffnung, den Ereignishorizont zu erreichen. Astrophysiker vermuten schon seit langem, dass im Herzen jeder Galaxie ein Schwarzes Loch sitzt, ähnlich dem, oder größer als das in unserer Milchstraße. Leider ist auch dort der Nachweis noch immer extrem schwierig. Denn vor allem jene Schwarzen Löcher, die in den uns am nächsten liegenden Galaxien vermutet werden, leiden derzeit an Futtermangel da nicht genügend Gas bis hin zum Zentrum einströmt. Ihre kümmerliche Strahlung im sichtbaren Licht leuchtet dann so schwach, dass sie sich nur sehr schwer von der Strahlung massereicher Sterne unterscheiden lässt. Selbst mit dem scharfen Blick des Hubble-Weltraumteleskops ist es oft nicht möglich, das schwache Glimmen hungernder Schwarzer Löcher vor dem Hintergrund der hellen Galaxie ausfindig zu machen. Die Suche nach neuen Schwarzen Löchern gleicht der Suche nach der sprichwörtlichen Stecknadel im Heuhaufen. Im Radiobereich hat man dahingegen bessere Chancen, weil dort Sterne viel weniger prominent strahlen. Wenn man mit einem hochauflösenden Radiointerferometer auf eine Galaxie schaut, ist der Heuhaufen weg und nur noch die Nadel sichtbar.
Basierend auf einem in Bonn entwickelten Modell für die Natur der Radioemission, wie sie in Sagittarius A* gefunden wird, kann man vorhersagen, wie stark die Emission bei anderen, hungernden Schwarzen Löchern ist. Mit Radiointerferometern wurden die 100 nächsten Galaxien in unserer kosmischen Nachbarschaft (innerhalb von 60 Millionen Lichtjahren) untersucht, die im Verdacht stehen, in ihren Zentren Schwarze Löcher zu verstecken. Die Ausbeute dieser Jagd war erstaunlich groß: Tatsächlich wurde die vorausgesagte Radiostrahlung in fast der Hälfte aller untersuchten Milchstraßensysteme gefunden (siehe Abbildung 5).
Die Radiosignale der entdeckten Quellen ähneln stark denen der Radioquelle Sagittarius A* im Zentrum unserer eigenen Galaxis. Daher kann man diese neuen Quellen als Geschwister des Schwarzen Lochs in unserer Milchstraße ansehen, von denen man nun Dutzende neu entdeckt hat.
Wegen ihrer Nähe sind solche Schwarze Löcher in unserer kosmischen Nachbarschaft besonders interessant: Radioastronomen können jetzt die Phänomene sehr viel genauer untersuchen. Typische Quasare - Galaxien mit sehr hellen Schwarzen Löchern - sind 500 mal weiter entfernt und der Ereignishorizont ist entsprechend kleiner. Dafür wird man allerdings durch eine größere Helligkeit und eine reichhaltigere Struktur entschädigt.
Ein weiterer Vorteil der radiointerferometrischen Entdeckung Schwarzer Löcher ist, dass sie – und damit auch die Zentren von Galaxien – mit sehr hoher Präzision lokalisiert werden können. Da Galaxien nicht feststehen, sondern sich unter der Gravitationswirkung der dunklen Materie im All bewegen, müssten sich auch die zentralen Schwarzen Löcher langsam am Himmel bewegen. Durch den Vergleich der Positionen bei aufeinanderfolgenden Beobachtungen ließe sich so die Bewegung von Galaxien im Laufe einiger Jahre direkt am Himmel beobachten.
Eine andere, etwas indirektere Methode, die Signatur eines Schwarzen Loches zu finden, basiert auf Messungen der Intensitätsschwankungen der Strahlung von Quasaren und den damit korrelierten Auswürfe hoch relativistischen und scheinbar überlichtschnellen Plasmas in den Jet. Die mit dem 100m Radioteleskop in Effelsberg 1985 entdeckten extremen Helligkeitsschwankungen, die sogenannte Intra-Day Variability (IDV) in Blazaren, zeigen in einigen Fällen Periodizitäten, die man möglicherweise auf periodische Schwankungen am Fußpunkt der Jets, in denen die Radiostrahlung entsteht, zurückführen kann. Mittels des Lichtlaufzeit-Argumentes gelangt man so zu Aussagen, die Regionen mit einem Durchmesser von nur wenigen Lichtstunden (< 5 Mikrobogensekunden) betreffen. Diese Präzession der Jetachse hängt unmittelbar mit der Geometrie in der Umgebung des Schwarzen Loches, und der es umgebenden Masseverteilung zusammen. Eine genauere Untersuchung der Präzession der Jetfußpunkte mittels mm-VLBI und Variabilitätsmessungen werden es daher erlauben, die physikalischen Bedingungen (Masse, Energieverteilung) in unmittelbarer Nähe von Schwarzen Löchern zu bestimmen.
Max-Planck-Gesellschaft Jahrbuch 2001. Copyright © 2001 Max-Planck-Institut f. Radioastronomie.
ur 3/2013