Magnetfelder in der Milchstraße

R. Beck, E. Fürst, M. Krause, P. Reich, W. Reich, R. Wielebinski, M. Wolleben

mit

B. Uyaniker, DRAO/Kanada




Welche Rolle spielen Magnetfelder im Universum? Waren sie von Anfang an vorhanden oder wurden sie erst im Laufe der Entwicklung des Universums erzeugt? Magnetfelder werden in Galaxien und Quasaren mittels ihrer Radioemission gemessen. Doch welche Bedeutung haben sie bei der Entwicklung von Galaxien und Galaxienhaufen? Welchen Einfluß nehmen Magnetfelder auf die Entstehung neuer Sterne oder welchen Effekt haben die Stoßwellen explodierender Sterne auf das Magnetfeld ihrer Umgebung und auf das galaktische Magnetfeld insgesamt? Es gibt viele Meinungen und Theorien zu diesen Fragen, doch genaue Beobachtungen sind erforderlich, um klärende Antworten zu geben. Erhebliche Fortschritte in der Beobachtungstechnik der Radioastronomie machen es jetzt möglich, das Magnetfeld unserer Milchstraße genauer zu untersuchen. Dabei sind einige sehr überraschende Beobachtungsergebnisse erzielt worden.

Radiostrahlung aus der Milchstraße wurde vor knapp 70 Jahren zum ersten Mal nachgewiesen. Der Synchrotronstrahlungsprozess ist der wesentliche Emissionsmechanismus für langwellige (niederfrequente) Radiostrahlung: Fast lichtschnelle (relativistische) Elektronen verlieren einen kleinen Teil ihrer Bewegungsenergie durch Ablenkung im Magnetfeld der Milchstraße. Relativistische Elektronen werden insbesondere in den Stoßwellen explodierender Sterne erzeugt, aber auch Flare-Sterne, Pulsare und Prozesse in den Zentren von Galaxien können Elektronen beschleunigen. Die Intensität der beobachteten Synchrotronstrahlung ist von der Zahl der strahlenden Elektronen abhängig, aber die Magnetfeldstärke B trägt mit etwa B2 zur Intensität bei. Fluktuationen der Magnetfeldstärke haben deshalb einen großen Einfluß auf die gemessenen Intensitäten.

Großflächige Himmelsdurchmusterungen der Radiostrahlung geben uns ein Bild der Verteilung der Magnetfelder in unserer Milchstraße. Abbildung 1 zeigt drei Durchmusterungen des gesamten Himmels bei Frequenzen von 45 MHz, 408 MHz und 1420 MHz, die bei unterschiedlicher Trennschärfe (Winkelauflösung) und trotz großer Frequenzunterschiede eine sehr ähnliche Intensitätsverteilung zeigen. Unsere Position in der Scheibe der Milchstraße mit einem Abstand von ca. 25000 Lichtjahren vom galaktischen Zentrum erklärt die Ansicht, die uns Durchmusterungen von der Milchstraße liefern. Intensive Strahlung wird aus dem inneren Bereich der Milchstraße gemessen und belegt die dort höhere Magnetfeldstärke im Vergleich zu der im Außenbereich. Zu höheren Breiten hin nimmt die Magnetfeldstärke ebenfalls ab. Wie Abbildung 1 zeigt, überlagern dort Schalenstrukturen von lokalen Supernovaexplosionen die Emission. Die 408-MHz-Durchmusterung wurde bereits vor 20 Jahren am Max-Planck-Institut für Radioastronomie fertiggestellt, während die 45-MHz und die 1420-MHz-Karten erst kürzlich vervollständigt wurden. Vergleiche dieser Karten miteinander erlauben unter anderem eine Modellierung der Großstruktur des Magnetfeldes und die Ableitung des Energiespektrums der relativistischen Elektronen in der Milchstraße.
 

Synchrotronstrahlung ist polarisiert. Die ersten erfolgreichen Polarisationsmessungen erfolgten vor 40 Jahren. Diese Messungen sind technisch schwierig. Zudem macht das polarisierte Signal nur einen Bruchteil der Gesamtintensität aus, so dass eine hohe Empfindlichkeit der Messungen nötig ist. Doch nur polarisierte Strahlung gibt Auskunft über die Richtung und den Grad der Homogenität des Magnetfeldes. Abbildung 2 illustriert die Abstrahlung eines Elektrons im Magnetfeld. Systematische Messungen in den 60er Jahren, allerdings mit einer geringen Winkelauflösung, zeigen ein sehr gleichförmiges Magnetfeld mit einer Ausrichtung entlang der Milchstraßenebene. Dieser Befund deckte sich sehr gut mit der Großstruktur der Magnetfeldrichtung in nahen Spiralgalaxien, die in den letzten 20 Jahren gründlich untersucht wurden (siehe Beitrag des MPIfR im MPG Jahrbuch 1998). Zusammenfassend schien sich das Bild eines sehr homogenen, nur auf großen Skalen variierenden Magnetfeldes durch alle Beobachtungen zu bestätigen. Erst in den letzten 10 Jahren zeigten Polarisationsbeobachtungen mit dem Effelsberger 100-m-Teleskop, die im Vergleich zu früheren Messungen eine erheblich höhere Empfindlichkeit und Winkelauflösung haben, eine unerwartete Feinstruktur des Magnetfeldes. Gleichzeitig wurden erhebliche Variationen der polarisierten Intensität auf kleinen Skalen gemessen. Aus diesen Messungen lassen sich Informationen über depolarisierende Komponenten des interstellaren Mediums ableiten. Damit werden Polarisationsmessungen zu einem neuen Werkzeug zur Erforschung der Komponenten und der Struktur des interstellaren Mediums.
 

Abbildung 3 zeigt Beobachtungen eines großen Gebietes im Bereich des galaktischen Antizentrums bei 1,4 GHz mit dem Effelsberger 100-m-Teleskop. Die Gesamtintensität zeigt gleichmäßig abfallende Emission mit zunehmender Breite und zusätzlich wenige Fluktuationen auf großen Skalen. Dies entspricht der Abnahme der Magnetfeldstärke mit zunehmendem Abstand von der Milchstraßenebene. Die zahlreichen Punktquellen in Abbildung 3 sind extragalaktischer Natur, in der Regel sind sie Quasare oder Galaxien mit starker Radiostrahlung. Die Verteilung der polarisierten Intensität zeigt ein völlig anderes Bild: Große Intensitätsunterschiede sind auf kleinen Winkelskalen zu sehen. Filamentartige Minima oder auch Ringstrukturen erstrecken sich über Längen von einigen Grad. Gebiete mit hoher gleichförmiger polarisierter Intensität zeigen keine entsprechenden Strukturen mit höherer Gesamtintensität. Ähnliche Verhältnisse finden sich entlang der gesamten Milchstraße. Eine systematische Durchmusterung der Emission der Milchstraße in einem 40° breiten Band wird derzeit mit dem Effelsberger 100-m Teleskop bei 1,4 GHz durchgeführt.

Bei der Interpretation von Polarisationsmessungen spielt der Faraday-Effekt, wie er in Abbildung 2 dargestellt ist, eine wesentliche Rolle. Die Polarisationsrichtung der Synchrotronstrahlung wird durch eine in der Sichtlinie befindlichen magnetisierten Wolke aus ionisiertem Gas (Plasma) gedreht. Das Maß für die Ablenkung (Rotationsmaß) hängt von den physikalischen Eigenschaften der Wolke ab, ihrer Dimension, der Dichte der Elektronen im Plasma und der Stärke des Magnetfeldes. Das Rotationsmaß kann durch Polarisationsmessungen bei mehreren Wellenlängen bestimmt werden. Damit kann die Magnetfeldrichtung der Synchrotronstrahlung berechnet werden. Man gewinnt ebenso Informationen über die Struktur und Eigenschaften der sich in der Sichtlinie befindlichen Wolke. Die in Abbildung 2 dargestellte Situation ist eine Vereinfachung der tatsächlichen Verhältnisse, was ein Blick auf die komplexen Polarisationsstrukturen in Abbildung 3 zeigt. Im Antizentrum ist die Sichtlinie aus der Milchstraße heraus zwar relativ kurz, aber immer noch einige tausend Lichtjahre lang. Man muß also davon ausgehen, dass eine Überlagerung von Magnetfeldern in unterschiedlichen Entfernungen mit unterschiedlicher Stärke und verschiedener Ausrichtung vorliegt. Vielfältige Faraday-Drehungen erzeugen dann Polarisationsstrukturen, wie sie Abbildung 3 zeigt. Wenn es gelingt, diese Beobachtungen zu "entfalten", wissen wir sehr viel mehr über die Struktur des galaktischen Magnetfeldes und des interstellaren Mediums. Dieses Ziel soll in den nächsten Jahren erreicht werden.
 

Fluktuationen in der Intensität der polarisierten Strahlung (Änderungen in der Depolarisation) sind allein durch eine Drehung des Polarisationswinkels nicht zu erreichen. Mehrere Möglichkeiten kommen für eine Erklärung in Betracht: (a) es überlagern sich Magnetfelder verschiedener Ausrichtung, (b) das Magnetfeld ist stark verwirbelt, (c) ionisiertes Gas ist innerhalb der Synchrotronemissionsgebiete vorhanden und dreht den Polarisationswinkel ungleichmäßig, (d) innerhalb des Gebietes, über das vom Teleskop auf Grund seiner begrenzten Winkelauflösung gemittelt wird, variiert die Faraday-Drehung. (c) und (d) setzen die Existenz von ionisiertem Gas in großem Abstand von der galaktischen Ebene voraus. Tatsächlich ist solches Gas durch optische Beobachtungen der Ha -Linie nachgewiesen worden, über dessen Ionisationsquelle allerdings noch Unklarheit besteht. Doch ein Vergleich der optischen Beobachtungen mit den Depolarisationsstrukturen zeigt keine eindeutigen Zusammenhänge. Dennoch spielt der Faraday-Effekt offenbar eine wichtige Rolle, da die Polarisationsfluktuationen zu kürzeren Wellenlängen hin stark abnehmen. Korrelationen bzw. Antikorrelationen mit Wolken neutralen Wasserstoffs, molekularen Gases oder Staub, der im Infraroten sichtbar ist, zeigen, dass ionisiertes Gas, auch wenn es optisch nicht mehr nachweisbar ist, zusammen mit diesen Komponenten des interstellaren Mediums existiert. Nimmt die polarisierte Intensität in Richtung des ionisierten Gas ab, müssen sich geordnete Magnetfelder in gleicher oder größerer Entfernung als dieses Gas befinden. Da sich die Entfernung von Wasserstoff- und Molekülwolken durch spektroskopische Messungen bestimmen lassen, kann dies auch auf die Magnetfelder übertragen werden. Gibt es andererseits eine Erhöhung der Polarisation in Richtung interstellarer Wolken, wird die zugehörige Synchrotronemission vor der Wolke erzeugt. Die weiter entfernte Polarisation wird abgeschirmt und es findet keine Vermischung mit der Vordergrundemission statt. In der Tat gibt es eine Reihe von lokalen Staub- und Molekülwolken, aber auch bekannte Gasnebel in Entfernungen von nur wenigen hundert Lichtjahren, für die solche Beobachtungen gemacht werden. Diese Messungen weisen auf ein geordnetes Magnetfeld in unserer unmittelbaren Umgebung hin und zeigen darüber hinaus, dass in unserer näheren Umgebung eine höhere Synchrotronemission erzeugt wird als in vergleichbaren Bereichen der Milchstraße. Es ist bereits aus Röntgenmessungen bekannt, dass sich das Sonnensystem in einer lokalen Blase heißen Gases befindet, bei dessen Erzeugung möglicherweise auch das Magnetfeld komprimiert wurde. Eine erhöhte lokale Synchrotronemission beeinflußt 3-dimensionale Modellierungen der galaktischen Emission, wie man sie aus den in Abbildung 1 gezeigten Durchmusterungen ableiten kann, weil sie die Bestimmung der Emission in hohen galaktischen Breiten (Haloemission) wesentlich beeinflußt.
 

Wie sind die Verhältnisse in der Milchstraße im Vergleich zu anderen nahen Galaxien? Abbildung 1 zeigt, dass in Richtung der inneren Bereiche der Milchstraße die Radiostrahlung deutlich zunimmt. Dies gilt auch für die Depolarisation der Synchrotronemission und zwar in dem Maß mit dem die Emission ionisierten Gases zunimmt. Abbildung 4 zeigt einen Ausschnitt aus der Effelsberger 2.7-GHz-Durchmusterung der galaktischen Ebene im Abstand von 20° bis 50° vom galaktischen Zentrum. Die Anordnung einer Vielzahl von diskreten galaktischen Quellen, das sind Supernovaüberreste und heiße Gasnebel, in einem schmalen Band verdeutlichen die dünne Scheibe der Milchstraße. Die Magnetfelder und damit die Synchrotronstrahlung reicht bis in hohe galaktische Breiten. Wie Abbildung 4 zeigt, nimmt dort die polarisierte Emission deutlich zu. Die Depolarisation durch ionisiertes Gas hat sich drastisch verringert. Diese Beobachtungen geben das Verhältnis und die räumliche Verteilung der Komponenten der galaktischen Strahlung wieder. Dies kann mit Messungen naher Galaxien verglichen werden. Abbildung 5 zeigt als Beispiel 5-GHz-Messungen der fast exakt von der Seite gesehenen Galaxie NGC4631 mit hoher Winkelauflösung. Bei dieser Galaxie ist die Verteilung der Gesamtemission weniger symmetrisch als in unserer Milchstraße. Doch auch hier wird eine hohe Depolarisation in der Scheibe gemessen. Die Polarisationsintensität nimmt außerhalb der Scheibe deutlich zu. Bei einer so hohen Frequenz wie 5 GHz ist die Faraday-Drehung nur noch gering und die Polarisationsrichtung zeigt die Richtung des Magnetfeldes direkt an. NGC4631 hat einen ausgeprägtes Radiohalo und die Magnetfeldrichtung ist deutlich gegen die Scheibe der Galaxie geneigt. Die Verhältnisse in der Milchstraße unterscheiden sich auf großen Skalen offenbar nur wenig von denen in anderen Spiralgalaxien. Allein die Untersuchungsmöglichkeiten auf sehr viel kleineren räumlichen Skalen machen die Milchstraße für Beobachtungen einzigartig. Während man für NGC4631 (Abb. 5) nur Strukturen von 2400 Lichtjahren unterscheiden kann, sind es je nach Entfernung nur wenige Lichtjahre für Objekte der Milchstraße (Abb. 4).

Max-Planck-Gesellschaft Jahrbuch 2001. Copyright © 2001 Max-Planck-Institut f. Radioastronomie.

ur 3/2013

Zur Redakteursansicht