Pulsare - Leuchtfeuer im All

Michael Kramer & Richard Wielebinski




Einleitung. Wenn die 3200 Tonnen des Radioteleskops Effelsberg sich auf Bruchteile eines Millimeters genau auf Quellen ausrichten, die wir Pulsare nennen, so interessieren sich die Astronomen in diesen Moment für die kaum vorstellbaren, extremen Bedingungen, die in der Umgebung dieser Himmelskörper herrschen. Zur Verdeutlichung dieser Bedingungen stelle man sich eine Kugel vor, deren Durchmesser ungefähr der Entfernung Rheinbach-Bonn entspricht. Man stelle sich vor, daß diese Kugel die Masse von etwa einer halben Millionen Planeten Erde beinhaltet. An der Oberfläche dieser Kugel ist die Schwerkraft 200 Milliarden mal stärker als auf der Erde. Brächte man einen Kubikzentimeter Kugelmaterial auf die Erde, so würde dieser im Mittel 650 Millionen Tonnen wiegen! Man stelle sich vor, daß diese Kugel ein Magnetfeld besitzt, das an der Oberfläche bis zu tausend Milliarden mal stärker ist als jenes der Erde. Man stelle sich vor, daß diese Kugel mit bis zu 3.5 Millionen km/h durch das All rast, so daß sie die Entfernung Bonn-Madrid in zwei Sekunden zurücklegen könnte. Man stelle sich schließlich vor, daß sich diese Kugel in einer Sekunde ein bis 650 mal um sich selbst dreht. Durch das starke Magnetfeld wird die Kugel abgebremst, wobei ihre Rotationsenergie in verschiedenste Formen elektromagnetischer Strahlung verwandelt wird. Der erlittene Energieverlust erreicht leicht die Leuchtkraft der Sonne oder übersteigt je nach Rotationsgeschwindigkeit sogar 1031 (=10 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000) Watt. Die Energie, die pro Sekunde abgestrahlt wird, würde also ausreichen, um den gesamten Energieverbrauch auf der Erde für die komplette Lebenszeit des Universums zu decken. Solche außergewöhnlichen Objekte existieren. Man kann es als großen Triumph der Astrophysik ansehen, daß ihre Existenz schon 1934 lange vor ihrer Entdeckung vorhergesagt wurde. Erst im Sommer 1967 wurden von den Cambridger Astronomen Anthony Hewish und Jocelyn Bell gepulste Radiosignale beobachtet, die sich mit erstaunlicher Genauigkeit wiederholten. Diese zufällige Entdeckung wurde bald durch die unerwartete Erkenntnis erklärt, daß man die oben beschriebenen Objekte gefunden hatte. Sie wurden, da sie uns als pulsierende Radioquellen (engl. Pulsating Radiosource) erscheinen, Pulsare getauft.

Was sind Pulsare? Pulsare entstehen während einer Supernova-Explosion, also dem dramatischen Gravitationskollaps massenreicher Sterne, die ihren nuklearen Brennstoff verbraucht haben. Während im "normalen Leben" eines Sterns leichtere Atomkerne durch Kernfusion in schwerere überführt werden und dabei jene Energie freigesetzt wird, die auch die Sonne der Erde spendet, so stürzt der Stern nach dem Versiegen der Kernfusion in sich zusammen. Die Hülle des Sterns wird dabei in das umgegebene Medium weggesprengt, so daß eine Leuchtkraft erzeugt wird, die ggf. kurzzeitig die einer ganzen Galaxie übersteigt. So beobachteten chinesische Astronomen im Jahre 1054 einen "sehr hellen, neuen Stern" (nunmehr lat. Supernova genannt), der so hell war, daß er für Wochen selbst am Taghimmel sichtbar war. Dann verschwand dieses neue Objekt wieder, und heute wissen wir, daß es jene gewaltige Explosions eines Sterns darstellte, deren Rückstände wir heute noch als "Krebsnebel" beobachten können (Abb. 1). Während die äußere Hülle bei einer Supernova-Explosion abgestoßen wird, kollabiert der Kern des Sterns. Elektronen werden in Protonen gepreßt und bilden Neutronen. Aus dem Kern entsteht ein 20 km bis 30 km großes Objekt, das damit vorwiegend aus Neutronen besteht ein Neutronenstern.

Ähnlich einer Eiskunstläuferin, die bei einer Pirouette durch das Anziehen der Arme immer schneller wird, so rotiert der Neutronenstern durch die aufgetretene Massenkontraktion nun erheblich schneller als sein viel größerer Vorgängerstern. Durch das Aussenden eines schmalen, kegelförmigen Radiostrahls wird er schließlich zu einem kosmischen Leuchtturm, der dann zu beobachten ist, wenn die Erde von seinem Strahl zufällig gestreift wird.

Neutronensterne sind während sie langsam abkühlen an ihrer Oberfläche einige Millionen Grad heiß. Obwohl sie daher gleißend hell erscheinen sollten, sind Neutronensterne zu klein, um durch eine ausreichend große Oberfläche genügend Leuchtkraft zu erzeugen, die sie von der Erde aus optisch beobachtbar machen würde. An die Möglichkeit, daß Neutronensterne Radiostrahlung aussenden könnten, wurde vor der Entdeckung der Pulsare zunächst nicht gedacht. Man hatte daher keine Hoffnung, Neutronensterne jemals beobachten zu können. Die Entdeckung von Hewish und Bell, daß Pulsare mit Neutronensterne zu identifizieren sind, kam daher überraschend und bot auf einmal die Möglichkeit, bisher nicht für möglich gehaltene Experimente durchzuführen. Diese Leistung wurde 1974 mit dem Nobelpreis für Physik belohnt.

Pulsare als Uhren im Kosmos. Durch die große Masse, die bei Neutronensternen rotiert, stellen Pulsare schwere, extrem stabile Schwungräder dar, die in ihrem Lauf nur sehr schwer gestört werden können. Die Pulse werden deshalb so regelmäßig ausgesendet, daß die Genauigkeit im Abstand der Pulssignale vergleichbar mit den besten irdischen Atomuhren sein kann. Wir sind z.B. in der Lage, bei bekannten Pulsaren die Ankunftszeit eines Pulses schon Jahre voraus auf Bruchteile einer Millisekunde vorherzusagen. International wird daher in der Tat das Projekt verfolgt, die absolute, auf der Erde verwendete Zeit nicht mehr durch eine Gruppe von verschiedenen Atomuhren, sondern durch ein Ensemble von Millisekunden-Pulsare bestimmen zu lassen. Damit wäre der Kreis von der ursprünglichen Bedeutung der Astronomie für die Menschheit, nämlich die Messung der Zeit, wieder auf interessante und unerwartete Weise geschlossenen. Sieht man sich die einzelnen Pulse näher an, so entdeckt man neben einer Variation in der Stärke eine erstaunliche Vielfalt an Strukturen.

Einstein und die Pulsare. Wäre der Durchmesser eines Neutronensterns (bei gleicher Masse) nur um ungefähr die Hälfte kleiner, dann würde statt dessen ein Schwarzes Loch entstehen. Was auf der Erde unmöglich ist, wird durch Pulsare als super-genaue kosmische Uhren für den Astrophysiker nun möglich: Untersuchungen zur Physik in starken Schwerefeldern, also insbesondere in jenem Bereich, in dem die Allgemeine Relativitätstheorie von Albert Einstein ihre Anwendung findet. Tatsächlich sagte diese Theorie als einzige Effekte voraus, die jedoch bis 1974 nicht bestätigt werden konnten, da entsprechende Laboratorien fehlten. Dann aber wurde von Russel Hulse und Joe Taylor ein Pulsar entdeckt, der in weniger als acht Stunden von einem zweiten Neutronenstern umkreist wird. Beide Wissenschaftler konnten zeigen, daß sich die Umlaufperiode der Sterne bei jedem Umlauf um ungefähr das Zehntel einer millionsten Sekunde verkürzt! Dieser Effekt (hervorgerufen durch das Ausstrahlen von Gravitationswellen) konnte nur durch die Allgemeine Relativitätstheorie erklärt werden, so daß die Entdeckung von Hulse und Taylor zum letzten, großartigen Beweis für die Richtigkeit von Einsteins Theorie wurde. Beide Wissenschaftler wurden hierfür 1993 mit dem Nobelpreis für Physik geehrt.

Neueste Ergebnisse. Die Erfolge des Effelsberger Radioteleskops in den letzten 25 Jahren haben gezeigt, daß es einzigartig in seiner Empfindlichkeit bei Wellenlängen im kurzen cm-Bereich ist. Dieser Bereich des elektromagnetischen Spektrums ist für Pulsare sehr interessant, da die dort emittierte Strahlung nahe der Pulsaroberfläche entsteht. Im August 1996 wurde am Effelsberger Radioteleskop erneut ein neuer Weltrekord aufgestellt, indem Pulsare bei einer Wellenlänge von nur 7mm beobachtet werden konnten. Dieses stellte die kürzeste Radiowellenlänge dar, bei der Pulsare je beobachtet wurden. Die Ergebnisse sindaufregend, da sie auf einen unerwarteten Verlauf im Spektrum der Pulsare hindeuten und somit entscheidende Hinweise auf den (bis jetzt immer noch unverstandenen!) Emissionsprozess liefern. In Zusammenarbeit mit französichen und spanischen Kollegen konnte dieser Weltrekord sogar noch auf eine Wellenlänge von nur 3mm gesteigert werden.

Die mittlere Pulsform ist für jeden Pulsare charakteristisch wie ein Fingerabdruck und hängt nur von der Beobachtungfrequenz ab. Um so überraschender ist daher die Vielfalt der einzlenen Pulse. Diese dauern im allgemeinen weniger als ein Zwanzigstel der Pulsperiode. Bei hoher zeitlicher Auflösung zeigt sich eine große Variation in ihrer Form und Intensität.

Da einzelne Pulse eine Momentaufnahme der Plasmaprozesse in der Pulsarumgebung darstellen, kann man aus ihnen wertvolle Informationen über den Emissionsprozeß gewinnen. Die Mittelung einiger hundert von ihnen liefert immer das gleiche, einer Langzeitbelichtung ähndelndes Pulsprofil. Durch das Studium dieser "Fingerabdrücke" kann man unter anderen die geometrischen Verhätnisse wie die relative Anordnung von Magnet- und Rotationsachse ergründen. Dies ist möglich, weil Pulsarstrahlung zumeist hoch linear (aber auch zirkular) polarisiert ist und die großen Feldstärken die Polarisationsrichtung an die Magnetfeldrichtung im Emissionsgebiet koppeln.

Millisekunden-Pulsare. Die große Mehrheit aller Pulsare zeigt typsiche Perioden von 0.1 bis 5 Sekunden. Eine Gruppe von ca. 70 Objekten zeigt jedoch Pulseperioden, die sehr viel kleiner sind und im Bereich von 1.5 bis 50 Millisekunden liegen. Der erste dieser "Millisekunden-Pulsare" wurde 1982 entdeckt und besitzt mit 1.557 Millisekunden immer noch die kleinste aller bekannten Perioden. Solche Objekte entstehen in Doppelsternsystemen, bei denen einer der Begleiter ein verloschener Pulsare ist. Auch Pulsare können sterben, wenn ihre Rotation so verlangsamt ist, daß keine Ladungen mehr erzeugt und entlang der Magnetfeldlinien beschleunigt werden, wodurch sonst die beobachtete Radiostrahlung erzeugt wird. Durch den ständigen Verlust an Rotationsenergie durch die Abgabe elektromagnetischer Strahlung bremst der Pulsar nämlich ab und "stirbt" irgendwann. Hat der Pulsar jedoch einen Begleiter, so kann dieser ihm Masse übertragen, worauf der Pulsar wieder wie eine Eiskunstläuferin auf Millisekunden-Perioden beschleunigt wird.

Der Massenübertrag durch den Begleiter hat auch Auswirkungen auf die Stärke des Pulsar-Magnetfeldes. Ein Millisekunden-Pulsar zeigt in der Regel ein zehntausendfach kleineres Magnetfeld als ein "normaler" Pulsar, das jedoch immer noch 100 Millionen mal stärker ist als das der Erde. Dennoch entsteht durch den gewaltigen Unterschied in den Magnetfeldern und Pulsperioden zwischen Millisekunden- und normalen Pulsaren die Frage, inwieweit beide Gruppen den gleichen Emissionsprozeß aufweisen können. Aus diesem Grunde werden die Eigenschaften der in der Regel leuchtschwächeren Millisekunden-Pulsare systematisch studiert und verglichen.

Blick in die Zukunft. Die offenen Fragen der Pulsarforschung sind zahlreich und versprechen viele aufregende Ergebnisse für die Zukunft. Das Effelsberger Radioteleskop ist insbesondere für die Beobachtung von Pulsaren ein ideales Instrument und kann zur der Lösung der gestellten Fragen entscheidende Beiträge liefern.


Max-Planck-Gesellschaft Jahrbuch 1994. Copyright © 1994 Max-Planck-Institut f. Radioastronomie.

ur 3/2013

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