Forschungsbericht aus dem Jahrbuch 2014
Infrarot-Interferometrie von Staub- und Gasscheiben in der Umgebung von jungen Sternen
Infrared Interferometry of dust and gas disks surrounding young stars
Einleitung
Nach heutigen Modellvorstellungen entstehen Sterne in kollabierenden Molekülwolken, deren Kontraktion durch die eigene Gravitation verursacht wird. Während des Sternentstehungsprozesses bilden sich ausgedehnte zirkumstellare Gas- und Staubscheiben (Akkretionsscheiben) um die jungen Sterne. Diese Akkretionsscheiben spielen eine sehr wichtige Rolle bei der Entstehung von Sternen und Planeten. Der innere Rand der Staubverteilung der meisten Akkretionsscheiben ist nur etwa 0,1−1 Astronomische Einheiten vom Zentralstern entfernt. Diese kleine Entfernung entspricht selbst für die nächstgelegenen Sternentstehungsregionen einem Winkelabstand von nur etwa 1−10 Millibogensekunden. Deshalb ist diese Region nicht einmal mit den größten Teleskopen auflösbar.
Mit interferometrischen Messmethoden kann jedoch die faszinierende Auflösung von einer Millibogensekunde erreicht werden. Bei interferometrischen Messungen wird das Licht von mindestens drei einzelnen Teleskopen interferometrisch überlagert, sodass eine Winkelauflösung erreicht wird, die proportional zum Abstand der Einzelteleskope ist. Das weltweit größte Infrarot-Interferometer ist das Very Large Telescope Interferometer (VLTI) der Europäischen Südsternwarte (ESO) in Chile. Infrarot-Interferometrie mit dem VLTI liefert eine Auflösung, die so groß ist wie die theoretische Auflösung eines Teleskops mit einem Spiegeldurchmesser von 130m.
Infrarot-Interferometrie-Messungen mit mehreren Teleskopen ermöglichen seit einigen Jahren einmalige Einblicke in die innersten Staub- und Gasregionen von Akkretionsscheiben. Inzwischen wird Infrarot-Interferometrie auch mit sehr hoher spektraler Auflösung innerhalb von einzelnen Spektrallinien durchgeführt. Diese Kombination von hoher Winkelauflösung mit gleichzeitig hoher spektraler Auflösung ist entscheidend bei der Erforschung der physikalischen und kinematischen Eigenschaften von Akkretionsscheiben. Zum Beispiel kann man so das Geschwindigkeitsfeld der Startregion von Scheibenwinden und damit den fundamental wichtigen Akkretionsprozess erforschen.
Die zirkumstellare Scheibe des UX Ori-Sterns KK Oph
UX Ori-Sterne sind junge Sterne, deren Helligkeit immer wieder einmal für einige Tage stark abnimmt. Die physikalische Ursache dieser Helligkeitseinbrüche ist nicht vollständig verstanden. Einige Theorien gehen davon aus, dass Staubwolken innerhalb der zirkumstellaren Scheibe den Stern umkreisen und ihn gelegentlich verdunkeln, wenn sie sich auf der Verbindungslinie zwischen Stern und Beobachter befinden. Das sollte nur möglich sein, wenn die Scheibe zum Beobachter entsprechend stark geneigt ist, sodass einzelne Staubwolken eine Sternbedeckung erzeugen können. Ob diese Vorstellung von Sternbedeckungen durch Staubwolken stimmt, kann man mit interferometrischen Messungen von UX Ori-Sternen untersuchen. Dazu muss man die Scheibe eines UX Ori-Sterns auflösen und herausfinden, ob sie stark genug zum Beobachter geneigt ist. Geneigte Scheiben erkennt man an ihrer länglichen Form.
VLTI-Messungen des UX Ori-Sterns KK Oph mit dem AMBER-Interferometrie-Instrument haben tatsächlich gezeigt, dass die Scheibe von KK Oph sehr länglich und geneigt ist [1]. Das gemessene Achsenverhältnis der Scheibe von ≈1:3 entspricht einer Neigung der Scheibenachse zur Beobachtungsrichtung von etwa 70°. Zur genauen Interpretation der VLTI-Messungen wurden alle interferometrischen Messgrößen sowie das Breitbandspektrum von KK Oph mit Modellvorhersagen verglichen. Dadurch konnte das Modellbild in Abbildung 1 berechnet werden, das eine geneigte Staubscheibe und zusätzlich eine größere Halostruktur zeigt. Der Radius der innersten Scheibenregion beträgt etwa 0,4 Astronomische Einheiten (eine Astronomische Einheit sind etwa 150 Millionen km). Die gemessene Neigung der Scheibe ist so groß, dass Staubwolken im Orbit um den Zentralstern tatsächlich Sternbedeckungen durchführen könnten. Bei KK Oph können die beobachteten UX-Ori-Helligkeitsschwankungen also mit solchen kreisenden Staubwolken erklärt werden.
Die Emissionsregion der Brackett-Gamma-Linie des jungen Sterns MWC 297
Der junge Stern MWC 297 wurde mit dem AMBER-Interferometrie-Instrument des VLTI mit hoher Winkelauflösung und gleichzeitig mit hoher spektraler Auflösung gemessen [2]. Die verwendeten Teleskopabstände waren bei diesen interferometrischen Messungen 16 m, 32 m und 48 m. Die Messungen wurden innerhalb der Brackett-Gamma-Spektrallinie und im umgebenden Kontinuum des Spektrums durchgeführt. Die interferometrischen Messungen innerhalb der Linie liefern die Ausdehnung der Gasregion, die diese Linie emittiert. Im Kontinuum des Spektrums wurde die Ausdehnung der Staubverteilung in der zirkumstellaren Akkretionsscheibe gemessen. Die Ergebnisse zeigen, dass die Region, die die Brackett-Gamma-Linie ausstrahlt, etwa viermal so groß ist wie der Innenradius der Staubscheibe, der etwa 0,3 Astronomische Einheiten beträgt.
Wegen der hohen spektralen Auflösung des VLTI-AMBER-Instruments kann man das Gas in der Akkretionsscheibe in etwa zehn unterschiedlichen spektralen Kanälen innerhalb der Brackett-Gamma-Spektrallinie interferometrisch vermessen (Abb. 2). In diesen zehn Kanälen misst man Licht unterschiedlicher Rot- oder Blauverschiebungen. Diese Linienverschiebungen und die dadurch entstehende große Linienbreite werden durch den Dopplereffekt verursacht. Der blaue Teil der Linie wird durch Gasgeschwindigkeiten von bis zu 100 km/s in Richtung zum Beobachter hin erzeugt, der rote Teil durch Geschwindigkeiten von bis zu 100 km/s vom Beobachter weg. Diese interferometrischen Messungen mit hoher spektraler Auflösung in vielen unterschiedlichen spektralen Kanälen innerhalb einer Linie liefern erstmalig detaillierte Informationen über die Geschwindigkeiten innerhalb der zirkumstellaren Umgebung des Sterns.
Zur quantitativen Interpretation der interferometrischen Messungen (d. h. Kontrast und Phase der Interferenzstreifen) wurden die physikalischen und kinematischen Eigenschaften der Gas- und Staubverteilung durch Modellierung der Akkretionsscheibe und des abströmenden Scheibenwindes untersucht [2]. So konnte zum Beispiel abgeleitet werden, dass der Radius des Innenrandes der Staubscheibe etwa 0,3 Astronomische Einheiten beträgt und die Gasregion einen Innenradius von etwa 0,5 Astronomischen Einheiten hat. Außerdem wurde gezeigt, dass die Brackett-Gamma-Linie nicht von der Scheibe selbst sondern aus dem Scheibenwind emittiert wird.
Die Modellbilder in Abbildung 2 zeigen sowohl die ringförmige Intensitätsverteilung der Staubscheibe im innersten Bereich der Bilder als auch die dominierende Intensitätsverteilung des Scheibenwindes (disk wind). Die rote Kurve im Zentrum von Abbildung 2 ist die gemessene Brackett-Gamma-Linie, die durch die hohen Windgeschwindigkeiten sehr breit ist (Doppler-Effekt). Man kann deutlich die Abhängigkeit der gezeigten Bilder von der Radialgeschwindigkeit innerhalb der Brackett-Gamma-Spektrallinie sehen. Im blauverschobenen Teil der Brackett-Gamma-Linie bei einer Radialgeschwindigkeit von zum Beispiel −40 km/s leuchtet hauptsächlich der rechte Teil der Scheibenwindregion, weil sich nur dieser Teil der Gasverteilung auf den Beobachter zu bewegt. Die Staubscheibe ist besonders gut in den Bildern mit den Radialgeschwindigkeiten von −100 und +100 km/s zu sehen, weil bei diesen großen Geschwindigkeiten die Emissionlinie nur noch sehr schwach ist und folglich das Kontinuum des Spektrums dominiert. Solche Messungen sind nur durch die einmalige Kombination von hoher Winkelauflösung mit hoher spektraler Auflösung des VLTI-AMBER-Instruments möglich geworden. Das MPI für Radioastronomie war am Bau des AMBER-Instruments beteiligt. Mit AMBER haben die Astronomen jetzt völlig neue Möglichkeiten zur Erforschung des Akkretionsprozesses.