Der schärfste Blick ins All: Neue Grenzen in interkontinentaler Radiointerferometrie

Forschungsbericht (importiert) 2004 - Max-Planck-Institut für Radioastronomie

Autoren
Middelberg, Enno; Brunthaler, Andreas; Falcke, Heino; Greenhill, Lincoln L.; Henkel, Christian; Reid, Mark; Roy, Alan L.; Walker, R. Craig
Abteilungen
Radioastronomie/Very-Long-Baseline Radiointerferometrie (Prof. Dr. Johann Anton Zensus)
MPI für Radioastronomie, Bonn
Zusammenfassung
Der jüngste Fortschritt in der Interferometrie mit langen Basislinien (VLBI) hat die Technik, die die höchste Auflösung in der Astronomie liefert, an neue Grenzen geführt. Bei sehr hohen Frequenzen werden anspruchsvolle Beobachtungen durchgeführt, die sich durch die Auswirkungen der wechselnden Atmosphäre zusammen mit der geringeren Empfindlichkeit der Empfänger sehr viel schwieriger gestalten. Am Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn wurde zur Durchführung erfolgreicher Beobachtungen bei einer Wellenlänge von 3mm eine neue Kalibrationstechnik entwickelt indem man quasi-simultane Beobachtungen bei niedrigeren Frequenzen extrapoliert. Ein weiteres spektakuläres Ergebnis ist die erstmalige Messung der Bewegung einer benachbarten Galaxie mithilfe von sehr präzisen astrometrischen Beobachtungen. Mit einer Genauigkeit im Mikrobogensekunden-Bereich wurde die Bewegung der Galaxie M33 in der Lokalen Gruppe erfolgreich bestimmt. In beiden Fällen wurden die Resultate durch Doktoranden im Rahmen der Bonner International Max Planck Research School for Radio and Infrared Interferometry erzielt.

Neues Kalibrationsverfahren für VLBI-Beobachtungen

Astronomen sind heute davon überzeugt, dass sich im Zentrum nahezu jeder Galaxie ein so genannter Aktiver Galaktischer Kern (AGK) befindet, dessen Herz ein Schwarzes Loch mit der Masse mehrerer Millionen bis zu einer Milliarde Sonnenmassen bildet. Die das Schwarze Loch umgebende Materie sammelt sich in einer scheiben- und torusförmigen Anordnung um das gravitative Zentrum und emittiert Strahlung in allen Bereichen des elektromagnetischen Spektrums. Die genauen Vorgänge sind jedoch noch nicht verstanden, was im Wesentlichen daran liegt, dass Aktive Galaktische Kerne mit Durchmessern in der Größenordnung unseres Sonnensystems vergleichsweise klein sind. Die riesigen Entfernungen der Galaxien, die sie beheimaten, führen dann dazu, dass es zurzeit nur eine Möglichkeit gibt, diese Objekte mit astronomischen Beobachtungsinstrumenten abzubilden: Die radioastronomische Technik der Very Long Baseline Interferometry (VLBI).

Bei VLBI-Beobachtungen werden die Signale von vielen weit auseinander liegenden Radioteleskopen mit präzisen Zeitmarken abgespeichert, um später aus den Daten ein riesiges Teleskop zu synthetisieren. Dessen Auflösungsvermögen wird durch den Quotienten λ/D aus der beobachteten Wellenlänge λ und der Entfernung der Teleskope D bestimmt. Bei typischen Wellenlängen zwischen 20 cm und 1 cm und Entfernungen zwischen Teleskopen von bis zu 8000 km ergeben sich so Auflösungsvermögen von Millibogensekunden, die mit keiner anderen Beobachtungsmethode in der Astronomie erreicht werden und tiefe Einblicke in die Vorgänge in Aktiven Galaktischen Kernen geliefert haben.

Jedoch lässt sich auch mit den zurzeit höchstauflösenden VLBI-Beobachtungen noch nicht klären, wie die Vorgänge in den Aktiven Galaktischen Kernen im Detail ablaufen. In nahen Galaxien ist die erreichte Detailgenauigkeit noch um etwa einen Faktor drei bis zehn zu niedrig, um die Anordnung von Schwarzem Loch und Gasmassen abzubilden. Da die maximale Länge von Basislinien bei erdgebundenen Beobachtungen durch den Erddurchmesser gegeben ist, bleibt nur, die Wellenlänge zu verkürzen, um so den Quotienten λ/D zu verkleinern. Dies ist mit mehreren Problemen behaftet:

(1) Die Helligkeit von Aktiven Galaktischen Kernen sinkt oft mit abnehmender Wellenlänge, was ihre Beobachtung schwieriger macht. Aktive Kerne in nahen Galaxien sind zudem relativ leuchtschwach, denn es gibt nur wenige sehr helle galaktische Kerne im Universum und keinen, der sich in unserer „Nähe“ befindet.
(2) Radioteleskope werden bei kurzen Wellenlängen unempfindlicher, weil sich die Abweichungen der Teleskopflächen von der Idealform bei kürzeren Wellenlängen stärker auswirken. Außerdem produzieren die Empfänger der Radioteleskope (Verstärker und Elektronik) bei kürzeren Wellenlängen mehr Eigenrauschen, was das Herausfiltern des astronomischen Signals schwieriger macht.
(3) Das Gelingen von VLBI-Beobachtungen ist darauf angewiesen, dass die Ankunftszeit der Signale an den Teleskopen auf weniger als Nanosekunden genau bekannt ist. Wasserdampf in der unteren Erdatmosphäre, der Troposphäre, verzögert aber die Ankunftszeit der Signale um unbekannte und sich ständig ändernde Beträge. Während man bei starken Radioquellen das astronomische Signal selbst nutzen kann, um die Auswirkungen des Wasserdampfes zu bestimmen, geht das bei schwachen Quellen nicht. Dieser Effekt wird mit abnehmender Wellenlänge immer gravierender und ist für jeden Teleskopstandort anders.

Die Probleme (1) und (2) könnten sich im Prinzip dadurch umgehen lassen, dass man eine Radioquelle einfach länger beobachtet (so wie man einen unempfindlichen Film in einer Kamera mit geschlossener Blende länger belichten muss). Dazu muss aber auch das Problem (3) gelöst werden (man muss die Kamera länger ruhig halten), denn nur die korrekte Aufsummierung der Signale erlaubt die Detektion der darin enthaltenen Informationen, nänlich scharfe, nicht verwackelte Bilder.

Um Problem (3) zu lösen, wurde ein Beobachtungsverfahren entwickelt, das sich die folgende Eigenschaft des troposphärischen Wasserdampfes zu Nutze macht:
Wenn sich beispielsweise innerhalb einer Minute die Wasserdampfmenge über einem Teleskop derart ändert, dass eine Verzögerung vom Betrag r notwendig wird, um das Signal zu korrigieren, dann würde bei einer halb so großen Wellenlänge der Betrag 2r erforderlich (halb so große Wellenlänge bedeutet eine doppelt so große Korrektur). Wenn man nun innerhalb dieser Minute bei beiden Wellenlängen kurz nacheinander beobachtet, so kann man von den Korrekturen an der einen Wellenlänge auf die notwendigen Korrekturen bei der kürzeren Wellenlänge schließen.

Für die Beobachtung von Aktiven Galaktischen Kernen bei kurzen Wellenlängen bedeutet das: Wenn die Quelle hell genug ist um bei einer langen Wellenlänge innerhalb von 20 s bis 30 s detektiert zu werden, dann lässt sich bestimmen, um welchen Betrag das Signal gerade verzögert werden muss. Dieser Betrag kann dann skaliert werden und ermöglicht in den folgenden 20 s bis 30 s eine Beobachtung bei der kürzeren Wellenlänge, die eine höhere Auflösung ermöglicht. Da kompakte Radioquellen bei langen Wellenlängen heller, die Teleskope empfindlicher und zudem rauschärmer sind, eröffnet diese Beobachtungstechnik ganz neue Möglichkeiten, nahe gelegene, aber schwache Galaktischen Kerne mit höchster Auflösung zu beobachten.

Diese Beobachtungstechnik wurde beispielsweise an der elliptischen Galaxie NGC4261 erprobt. NGC4261 liegt in einer Entfernung von 90 Millionen Lichtjahren und hat ein Schwarzes Loch mit einer Masse von etwa 500 Millionen Sonnenmassen. Die Galaxie ist mit dem Very Long Baseline Array (VLBA) bei 2 cm Wellenlänge bequem beobachtbar, allerdings zu schwach bei λ3.3 mm. Diese Wellenlänge ist derzeit die kürzeste, für die Empfänger an den Teleskopen bereit stehen, und erreicht daher die höchste Auflösung. Die Konstruktion der Teleskope des VLBA erlaubt ein Umschalten der Beobachtungswellenlänge innerhalb von wenigen Sekunden. NGC4261 ist im Mai 2003 beobachtet worden wobei innerhalb von 25 s zwischen Wellenlängen von 2 cm und 3.3 mm hin- und hergeschaltet wurde. Die Korrekturfaktoren, die aus den 2 cm Beobachtungen abgeleitet worden sind, wurden nach Korrektur für den Frequenzunterschied und den 3.3 mm Daten hinzugefügt (Abb. 1). Sodann, konnte eine Radiokarte des Aktiven Galaktischen Kerns in NGC4261 erstellt werden (Abb. 2). Zurzeit ist dies das schwächste Objekt, was jemals mit VLBI bei 3.3 mm beobachtet wurde.

Da die Beobachtungstechnik noch in der Entwicklung ist, sind weitere Verbesserungen zu erwarten. Eine bisher unerprobte Möglichkeit ist, eine Positionsveränderung des Galaktischen Kernes mit der Änderung der Wellenlänge zu messen. Eine solche Positionsveränderung (oder ihre Abwesenheit) würde Hinweise auf die Mechanismen geben, die die Strahlung von Aktiven Galaktischen Kernen erzeugt.

Erste Messung der Eigenbewegung einer Nachbargalaxie

In den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts waren die so genannten „Spiralnebel“ Teil einer berühmten Debatte unter Astronomen über die Größe des Universums. Bis dahin dachte man, dass sich alle Objekte am Himmel – und damit auch die Spiralnebel – in unserer Milchstraße befinden. Einige Astronomen glaubten jedoch, dass es sich hierbei um eigenständige Galaxien handelt. Im Jahre 1923 veröffentlichte der niederländische Astronom Adriaan van Maanen eine Arbeit, in der er die Rotation und Eigenbewegung (Bewegung senkrecht zur Sichtlinie am Himmel) von M33 – einem Spiralnebel im Sternbild Dreieck – ableitete. Dazu verglich er fotografische Platten über einen Zeitraum von 12 Jahren. Da die gemessenen Bewegungen sehr groß waren, interpretierte er dies als den Nachweis einer geringen Entfernung von M33 und stützte damit zunächst die These, dass Spiralnebel ein Teil der Milchstraße sind. Kurze Zeit später konnte Edwin Hubble diese Beobachtung jedoch widerlegen, indem er Cepheiden-Sterne in M33 nachwies, die man aufgrund ihrer Perioden-Helligkeitsrelation als Entfernungsindikatoren nutzen konnte. Es zeigte sich, dass M33 und die anderen Spiralnebel in der Tat außerhalb der Milchstraße sind. Wegen der großen Entfernung hätte van Maanen damals eine Rotation nicht beobachten können. Die Ursache des Fehlers dieses erfahrenen Beobachters liegt immer noch im Dunkeln.

Die Eigenbewegung von Galaxien der lokalen Gruppe (eine Ansammlung von Galaxien bestehend aus unserer Milchstraße, der Andromeda-Galaxie M31, sowie M33 und etwa 35 kleineren Galaxien) ist bis heute unbekannt. Bis jetzt kennt man von unseren Nachbargalaxien nur die Radialgeschwindigkeiten, also die Geschwindigkeiten entlang der Sichtlinie, durch den Doppler-Effekt. Damit alleine ist es jedoch nicht möglich die drei-dimensionale Bahn einer Galaxie zu rekonstruieren. Daher werden die Bewegungen am Himmel dringend benötigt, wenn man etwas über die vergangene und zukünftige Entwicklung der Galaxien in unserer lokalen Gruppe vorhersagen möchte. So wäre es nach derzeitigem Kenntnisstand durchaus wahrscheinlich, dass die Milchstraße in einigen Milliarden Jahren mit der Andromeda-Galaxie kollidieren und verschmelzen wird. Wegen ihrer großen Bedeutung für unser Verständnis der lokalen Gruppe sind die Eigenbewegungen der nahen Galaxien ein wichtiges Ziel zukünftiger Astrometrie-Satelliten wie SIM und GAIA.

Mehr als 80 Jahre später ist es nun mithilfe des scharfen Blickes moderner Radioteleskope gelungen das „van Maanen“-Experiment zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen. Dazu wurde die Bewegung von zwei Wasserdampfwolken in M33 über einen Zeitraum von drei Jahren mit dem VLBA verfolgt (Abb. 3). Der Wasserdampf, der 1976 mit dem 100-Meter-Radioteleskop in Bad Münstereifel-Effelsberg in M33 entdeckt wurde und der erste Nachweis von Wasser in einer anderen Galaxie war, emittiert Radiowellen in einer Wellenlänge von 13 mm, verstärkt durch den „Maser“-Effekt, der analog zur bekannten Laser-Emission im Bereich des sichtbaren Lichtes funktioniert.

Die neuen Messungen zeigten, dass sich M33 etwa 100-mal langsamer bewegt und dreht als von van Maanen behauptet. Die Wasserdampfwolken bewegen sich zusammen mit der Galaxie im Jahr nur um etwa 30 Mikrobogensekunden am Himmel. Die erreichte Genauigkeit der Geschwindigkeitsmessung ist 5 Mikrobogensekunden pro Jahr. Aus einer Entfernung von 500 km könnte man mit dieser Genauigkeit noch eine Bewegung von 0,01 mm pro Jahr entdecken. Eine solche Genauigkeit erreicht man nur mithilfe der VLBI.

Aus den gemessenen Daten kann nun die Entfernung der Galaxie M33 (und anderer naher Objekte) durch einfache geometrische Prinzipien direkt bestimmt werden, um das Universum in unserer Nachbarschaft neu zu vermessen. Dazu wird die Rotationsgeschwindigkeit der Galaxienscheibe aus Wasserstoffgas, die man mithilfe des Doppler-Effektes messen kann, mit der gemessenen relativen Winkelbewegung zwischen den beiden Wasserstoffwolken am Himmel verglichen. Aus der Rotationskurve und dem Inklinationswinkel von M33 kann man berechnen, dass sich die beiden Wasserdampfwolken relativ zueinander mit 106 Kilometern pro Sekunde bewegen. Verglichen mit den beobachteten 30.8 Mikrobogensekunden pro Jahr ergibt sich eine Entfernung von M33 von etwa 2.4 Millionen Lichtjahren.

Genaue Entfernungsbestimmungen stellen grundsätzlich ein großes Problem in der Astronomie dar. Da nicht einfach ein Maßband durch das Universum gelegt werden kann, müssen indirekte Methoden – wie z.B. die Perioden-Leuchtkraft-Beziehung der Cepheiden-Sterne – genutzt werden, die jedoch häufig mit unbekannten Fehlern behaftet sind. Daher ist es besonders wichtig, direkte geometrische Entfernungen zu haben. Durch solche Messungen kann die extragalaktische Entfernungsskala verlässlich geeicht werden. Besonders interessant ist dabei, dass die Genauigkeit der Bestimmung der Eigenbewegung mit jedem weiteren Jahr des Experiments weiter zunimmt. Ferner wird bei zukünftigen Beobachtungen ebenfalls eine dritte Wasserstoffwolke in M33 beobachtet, um die Genauigkeit weiter zu erhöhen.

Die Bewegung einer einzelnen Wasserdampfwolke in M33 setzt sich aus der Rotation von M33, der Bewegung von M33 am Himmel und einer scheinbaren Bewegung durch die Rotation unserer Milchstraße zusammen. Da die Rotation von M33 und auch die Rotation unserer Milchstraße – durch VLBI Beobachtungen von Sgr A*, dem Schwarzen Loch im Zentrum unserer Milchstraße – bekannt ist, kann man auch die Bewegung von M33 bestimmen. Die Ergebnisse zeigen, dass sich M33 mit 190 Kilometer pro Sekunde relativ zu unserer Milchstrasse und in Richtung auf unsere Schwestergalaxie, der Andromeda-Galaxie, bewegt (Abb. 4). Auch wenn M33 in Richtung der Andromeda-Galaxie fliegt, so wird sie diese wohl knapp verfehlen. Weitere Beobachtungen von M33 und anderen Galaxien sowie Simulationen sollen nun helfen, diese Frage zu klären. Auch darf man sich Hoffnungen machen, die Masse der Milchstraße und die Verteilung der dunklen Materie in ihrer Umgebung besser zu verstehen.

Einen Nachteil der neuen Methode gibt es allerdings: Mit den heutigen Teleskopen können nur die hellsten extragalaktischen Wasserdampfwolken in wenigen Galaxien beobachtet werden. Dies wird sich erst durch das geplante Square Kilometer Array (SKA) ändern. Dies ist ein geplanter Verbund von vielen Radioteleskopen mit einer Gesamtfläche von einem Quadratkilometer. Mit einem solchen Riesenteleskop wird man die genauen Entfernungen und Bewegungen von den meisten benachbarten Galaxien messen und sich unter Umständen noch bis in den benachbarten Virgo-Haufen vorarbeiten können.

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