Forschungsbericht aus dem Jahrbuch 2006
LOFAR - eine neue Generation von Radioteleskopen
LOFAR - A New Generation of Radio Telescopes
Das Radiofenster wird erweitert
Radiostrahlung entsteht im Kosmos auf vielfältige Weise, durch thermische Prozesse (Frei-Frei-Strahlung, Rekombinationslinien, Moleküllinien) oder nichtthermische Prozesse (Zyklotron- und Synchrotron-Strahlung). Frei-Frei-Strahlung und nichtthermische Radiostrahlung sind kontinuierlich, d.h. sie sind nicht auf ein bestimmtes Frequenzband begrenzt. Synchrotron-Strahlung wird von sehr energiereichen Elektronen der Kosmischen Strahlung ausgesendet, wenn sie nahezu lichtschnell auf Spiralbahnen um Magnetfeldlinien laufen. Die Kosmische Strahlung stammt zum Großteil aus den Überresten von Supernova-Explosionen. Der Ursprung der kosmischen Magnetfelder ist eines der großen ungelösten Rätsel der Astrophysik, dem sich auch Projekte am MPIfR Bonn widmen [1].
Nicht alle Radiowellen gelangen bis zur Erdoberfläche. Unterhalb von einigen Millimetern Wellenlänge absorbieren die Moleküle der Erdatmosphäre die meiste Radiostrahlung. Oberhalb von etwa 10m Wellenlänge wird die Ionosphäre undurchlässig, abhängig vom Ionisationsgrad der Ionosphäre, der durch hochenergetische Sonnenstrahlung bestimmt wird. Daher nimmt die größte Wellenlänge des Radiofensters mit zunehmender Sonnenaktivität ab.
Zur Erweiterung dieses begrenzten Radiofensters hat das MPIfR Bonn eine Doppelstrategie eingeschlagen: Bei kurzen Wellenlängen steht jetzt das neue Teleskop APEX in der Höhenlage der chilenischen Wüste Atacama zur Verfügung, wo die Absorption der Atmosphäre viel geringer ist. Auch bei den langen Radiowellen wird es bald ein neues Teleskop geben.
Die Auflösung eines Teleskops sinkt proportional zur Wellenlänge. Das 100-m-Radioteleskop Effelsberg hätte bei 10m Wellenlänge nur noch eine Auflösung von 7 Grad am Himmel, völlig unzureichend, um kosmische Objekte aufzuspüren. Radioteleskope bei langen Wellenlängen bestehen daher aus vielen Einzelspiegeln. Die zurzeit größte Anlage, das Giant Meterwave Radio Telescope (GMRT), steht im Westen Indiens und kann bis 2 m Wellenlänge messen. Die Störungen durch irdische Radio- und Radarsender sind erheblich, sodass nur kleine Wellenlängenbereiche nutzbar sind. Empfindlichkeit und Winkelauflösung des GMRT reichen für viele neue Projekte nicht aus.
Abhilfe kann ein Teleskop schaffen, das eine wesentlich größere Sammelfläche hat und Störungen effektiver ausblenden kann. Um die Kosten in vertretbarem Rahmen zu halten, muss technologisches Neuland beschritten werden.
LOFAR: das erste voll digitale Teleskop der Welt
Klassische Radioteleskope sammeln – wie optische Teleskope - Strahlung durch parabolförmige Reflektoren. Computergesteuerte Motoren bewegen den Spiegel entlang der scheinbaren Bahn einer Radioquelle am Himmel. Die neue Generation von Radioteleskopen benötigt dagegen keine beweglichen Teile und Motoren. Das Teleskop besteht aus einer großen Zahl von Dipolantennen, die fest am Boden montiert und in Stationen angeordnet sind. Die Blickrichtung und die Größe des Gesichtsfeldes werden durch einen zentralen Supercomputer (Korrelator) festgelegt, der die digitalen Signale aller Dipole aufnimmt und kombiniert. Das digitale Korrelationssignal entspricht dem Muster bei der Interferenz optischer Strahlung. Die Auflösung des Gesamtteleskops wird durch den Abstand der äußersten Dipole bzw. Stationen bestimmt. Es kann im Prinzip den gesamten Himmel gleichzeitig beobachten, was jedoch zurzeit durch die begrenzte Rechenleistung und Kapazität der Datenspeicher noch nicht möglich ist. Immerhin kann das digitale Teleskop in mehrere Richtungen gleichzeitig beobachten, also mehrere Astronomen gleichzeitig mit Daten versorgen.
Das Prinzip des digitalen Radioteleskopes (oder Phased Array) ist seit langem bekannt, aber erst jetzt erlauben preiswerte Elektronik, Superrechner und gigantische Datenspeicher die Realisierung. Das radioastronomische Institut ASTRON bei Dwingeloo in den Niederlanden arbeitet seit einigen Jahren am Projekt LOFAR (Low Frequency Array). 2005 stellten die niederländische Regierung und die Provinzen Nord-Niederlande die Mittel zur Verfügung, um mit dem Bau beginnen zu können. LOFAR arbeitet in zwei Frequenzbereichen: 30 - 80 MHz (10 – 3,8 m) und 110 - 240 MHz (2,7 – 1,2m), für die zwei verschiedene Dipoltypen konstruiert wurden (Abb. 1). Das UKW (FM) Band (2,8 – 3,4m Wellenlänge) wird vermieden, denn dort ist kein Durchkommen für kosmische Wellen möglich. Jede Station wird aus 2 x 96 Dipolen auf einer Fläche von 110 x 60 m bestehen. Störungen durch künstliche Radiosignale werden an Ort und Stelle digital herausgefiltert. Der Kern von 23 Stationen wird bei Exloo (Westfriesland) stehen, und weitere 45 Stationen werden spiralförmig über die Niederlande verteilt. Mitte 2006 wird die erste Station errichtet, und bis 2009 sollen alle 77 Stationen in Betrieb gehen. Der Zentralrechner Blue Gene/L, einer der schnellsten Rechner der Welt, steht bereits in der Universität von Groningen. Seine Rechenleistung von 27 Teraflops reicht aus, um die gewaltige Datenrate von 500 Gb/s, die ständig von den Stationen eingeht, direkt zu Radiobildern verarbeiten zu können. Ein Datenspeicher von 1 Petabyte (1015 Byte) erlaubt es, die Signale auch nachträglich auswerten zu können. Das LOFAR-Datennetz soll auch für Detektoren in anderen Wissenschaftsdisziplinen (Geophysik, Biologie, Meteorologie) genutzt werden. (weitere Informationen: www.lofar.org)
LOFAR in Deutschland
Um mit LOFAR eine Winkelauflösung von einer Bogensekunde und besser zu erreichen, ist die Ausdehnung der Niederlande zu klein. Seit 2004 finden Gespräche mit deutschen Instituten statt, um LOFAR nach Deutschland zu erweitern. Bisher 13 deutsche Institute (darunter das MPIfR Bonn und das MPA Garching) wollen sich an LOFAR beteiligen. Sie haben sich im GLOW (German Long Wavelength Consortium) zusammengeschlossen, um ein eigenständiges deutsches LOFAR zu betreiben und ein Wissenschafts-Netzwerk zu bilden. Die wissenschaftlichen Ziele wurden 2005 in einem White Paper zusammengefasst (Abb. 2).
Die erste deutsche LOFAR-Station wird 2006 in unmittelbarer Nähe des 100-m-Radioteleskops Effelsberg in Zusammenarbeit zwischen ASTRON und dem MPIfR Bonn aufgebaut. Ende 2006 wird eine eigene, schnelle Glasfaserverbindung (10 Gb/s) zwischen Effelsberg und Bonn zur Verfügung stehen. Über das Forschungszentrum Informationstechnik (GMD) in Sankt Augustin gibt es dann Anschluss an das Deutsche Forschungsnetz (DFN) und das internationale GÉANT. Weitere 7 deutsche LOFAR-Stationen sind in Planung (Abb. 3). Das Ziel sind 12 deutsche Stationen bis zum Jahr 2012. Damit wird LOFAR zur größten über Datenleitungen vernetzten Teleskopanlage der Welt. Institute in Frankreich, Polen, Schweden und Großbritannien haben ebenfalls Interesse geäußert, sodass eine europaweite Ausdehnung wahrscheinlich ist. Die mit LOFAR gewonnenen Erfahrungen bestimmen das Design des internationalen Radioteleskop Square Kilometre Array (www.ska.org), das ab 2010 unter wesentlicher Beteilung Europas gebaut und zwischen 100 MHz und 25 GHz beobachten soll.
Blick in das junge Universum
Der langwellige (keinesfalls langweilige!) Radiobereich ist ein bisher nur wenig erforschtes Fenster zum Universum, in dem sich noch viele Geheimnisse verbergen. Das Hauptinteresse der an LOFAR beteiligten Wissenschaftler ist die so genannte Epoche der Re-Ionisation, rund 100 Millionen Jahre nach dem Urknall, als die ersten Sterne in den ersten Galaxien das neutrale Gas ihrer Umgebung aufheizten und ionisierten. Die Gebiete mit neutralem Gas schrumpften und verschwanden schließlich ganz. Dadurch entstanden die ersten Strukturen im Gas des jungen Universums, die heute der Beobachtung zugänglich sind, denn der neutrale Wasserstoff (HI) sendet eine starke Radiolinie bei der Wellenlänge von 21cm aus. Diese Strahlung aus dem jungen Universum wurde allerdings auf dem Weg zu uns durch die Expansion des Kosmos um einen Faktor zwischen 10 und 20 rotverschoben, sollte also jetzt irgendwo zwischen 2m und 4m Wellenlänge aufzufinden sein. LOFAR wird nach diesen Signalen suchen, die sich als Fluktuationen des schwachen Hintergrundes bemerkbar machen sollten. Der Nachweis und die Messung der Rotverschiebung sind von erheblicher Bedeutung, um die heutigen kosmologischen Modelle testen und verbessern zu können. Einzig die langwellige Radioastronomie ist dazu in der Lage.
Alternde Elektronen
Die Wellenlänge der Synchrotron-Strahlung hängt von der Energie der Elektronen und der Magnetfeldstärke ab. Langwellige Radiostrahlung aus Galaxien stammt von relativ niederenergetischen Elektronen der Kosmischen Strahlung. Da diese geringere Energieverluste erleiden, haben sie eine längere Lebensdauer als hochenergetische Teilchen. Strahlung bei z.B. 50 MHz (6m Wellenlänge) stammt von Elektronen mit rund 800 MeV Energie in einem Magnetfeld von 5 Mikrogauss, die eine Lebensdauer von rund 500 Millionen Jahren haben. Damit können sie sich weit von ihren Entstehungsorten, Supernova-Überresten oder Galaxienkernen, entfernen und Magnetfelder „beleuchten“, die sich in großen Entfernungen befinden. Abbildung 4 (oben) zeigt einen riesigen Radio-Sporn (den Nordpolarsporn), der aus der Milchstraßenebene herausragt und einer Supernova zugeschrieben wird, die vor einigen 10000 Jahren in nur wenigen 100 Lichtjahren Entfernung von der Sonne explodierte. Noch gewaltiger sind Explosionen in den Zentren von Galaxien, die schnelle, geladene Teilchen und Magnetfelder bis in Hunderttausende von Lichtjahren Entfernung hinaus schleudern. Noch nach langer Zeit können diese über ihre langwellige Radiostrahlung aufgespürt werden.
Kenntnis über die Dichte der Kosmischen Strahlung in Sonnennähe könnte sogar von unmittelbarer Bedeutung für die Erde sein, denn ein Einfluss auf das Erdklima wird für möglich gehalten. Das Sonnensystem trifft bei der Bahn durch die Milchstraße auf Dichteschwankungen, die zu Klimaveränderungen auf der Erde führen könnten.
Heißes Gas
Der langwellige Radiobereich ist auch zum Nachweis von heißem Gas in Galaxien von Bedeutung, da dieses Gas die dahinter liegende langwellige Synchrotronstrahlung absorbiert (Abb. 4 unten). Dadurch kann auch Gas nachgewiesen werden, das eine relativ geringe Temperatur (einige 1000 K) und eine geringe Dichte (wenige Teilchen pro cm3) hat und daher kaum thermische Radiostrahlung aussendet. Solches Gas könnte einen bisher unterschätzten Anteil an der Gesamtmasse des interstellaren Mediums ausmachen.
Heißes, ionisiertes Gas lässt sich auch über den Effekt der Faraday-Rotation nachweisen. Dabei wird die Polarisationsrichtung der Radiostrahlung in ionisiertem Gas in Abhängigkeit von der Magnetfeldstärke gedreht. Da die Faraday-Rotation mit dem Quadrat der Wellenlänge zunimmt, könnte mit LOFAR bei langen Wellenlängen erstmals auch Gas nachgewiesen werden, das extrem dünn ist (weniger als ein Teilchen pro dm3).
Auch die Sonnenphysik wird von LOFAR profitieren. Erstmals wird es möglich sein, die langwellige Radiostrahlung von solaren Bursts in der äußeren Korona mit hoher räumlicher Auflösung zu untersuchen.
Magnetfelder
Abgesehen von schwachen, hoch rotverschobenen HI-Linien (s.o.) ist der langwellige Radiobereich die Domäne der Synchrotronstrahlung und zeigt uns daher, wo sich niederenergetische Elektronen und Magnetfelder befinden. Sind die Magnetfelder gleichmäßig ausgerichtet, so ist die Radiostrahlung teilweise linear polarisiert. Die Polarisationsrichtung zeigt (nach Korrektur der Faraday-Rotation) die Magnetfeldrichtung an [4]. Mittels langer Radiowellen können bei hoher Winkelauflösung schwache, ausgedehnte Magnetfelder in den Halos von Galaxien, zwischen den Galaxien eines Galaxienhaufens oder in den gealterten Blasen der Radiogalaxien nachgewiesen werden, was nur in Ausnahmefällen bei kurzen Wellenlängen gelingt (Abb. 5). (A. Lobanov, A. Roy, W. Sherwood, A. Zensus)