Forschungsbericht aus dem Jahrbuch 2010
Radiopulsare testen fundamentale Physik im Weltraum
Radio pulsars test fundamental physics in space
Radiopulsare als kosmische Uhren
Pulsare („Pulsating Source of Radio“) wurden 1967 von Jocelyn Bell und ihrem Doktorvater Antony Hewish in Cambridge entdeckt. Bei Pulsaren handelt es sich um extrem stark magnetisierte, rotierende Neutronensterne, die in Supernova-Explosionen entstanden sind. Ihr pulsierender Charakter kommt von einem Leuchtturmeffekt, bei dem ein gebündelter Radiostrahl entlang der magnetischen Pole ausgestrahlt wird. Die magnetische Achse ist gegen die Rotationsachse geneigt, sodass der Strahl einmal pro Rotation über die Erde streicht. Heute kennen wir rund 1800 Pulsare, ca. 140 davon in Doppelsternsystemen. Einige der Doppelsternpulsare können dazu verwendet werden, verschiedene Aspekte der Fundamentalphysik zu untersuchen. Das bekannteste Beispiel hierfür sind Tests der Allgemeinen Relativitätstheorie (ART), die Radioastronomen unter anderem auch mit dem 100-m-Radioteleskop in Effelsberg mit höchster Präzision in starken Gravitationsfeldern durchführen [1].
Die Nützlichkeit der Puslare zu Tests der ART beruht auf deren Eigenschaft als genaue kosmische Uhr. Ihre große Masse (ca. 1,4 Sonnenmassen) und enorme Kompaktheit (ca. 20 km Durchmesser) machen Pulsare zu massiven Schwungrädern, die nur sehr schwer aus dem Tritt zu bringen sind. Mit der Regelmäßigkeit ihrer Umdrehung kann deshalb ein Radiosignal als Tick einer Uhr registriert werden, deren Genauigkeit in vielen Fällen mit denen einer hoch präzisen Atomuhr verglichen werden kann. Es sind die „Millisekundenpulsare“, welche die beste Stabilität haben und, wie der Name verrät, Rotationsperioden von nur 1,4 bis 60 Millisekunden aufweisen [2].
Ist die ART auch in starken Gravitationsfeldern gültig?
Die ART, 1915 veröffentlicht von Albert Einstein, ist die derzeit gültige Theorie der Gravitation und der Struktur von Raum und Zeit. Ihre Gültigkeit auf der Erde und im Sonnensystem wurde in zahlreichen Experimenten getestet. Sie findet zum Beispiel Anwendung im Alltag bei der Navigation mittels GPS. Es ist jedoch möglich, dass die ART in sehr starken Gravitationsfeldern ihre Gültigkeit verliert. So gibt es alternative Gravitationstheorien, die sich in schwachen Feldern praktisch wie die ART verhalten, in starken Gravitationsfeldern jedoch deutlich abweichende Vorhersagen treffen. In der Tat besitzt das Sonnensystem nur sehr schwache Gravitationsfelder, selbst direkt an der Oberfläche der Sonne. Das Gravitationsfeld an der Oberfläche eines Neutronensterns ist Milliarden Mal stärker. Um die Grenzen der ART auszuloten, sollte man also Experimente mit Systemen durchführen, die aus derart kompakten Objekten bestehen. In der Tat werden bis jetzt die besten Tests in starken Gravitationsfeldern mithilfe von Neutronensternen in der Form von Radiopulsaren durchgeführt [3].
Der erste Radiopulsar als Mitglied eines Doppelsternsystems wurde 1974 von Russel Hulse und Joseph Taylor entdeckt. Der sichtbare Neutronenstern, PSR B1913+16 (so benannt nach seinen Himmelskoordinaten), ist ein Pulsar mit einer Periode von 59 Millisekunden. Bereits kurz nach seiner Entdeckung war klar, dass es sich hierbei um ein einzigartiges Testsystem für die Relativitätstheorie handelt. In der Tat findet man zwei Neutronensterne vor, also Objekte mit extrem starken Gravitationsfeldern, von denen einer als Radiopulsar sichtbar ist und somit eine sehr genaue Vermessung seiner Bewegung um den Systemschwerpunkt erlaubt. Indem gemessen wird, wie sich die Laufzeit der Pulse über eine Bahnbewegung verändert, kann die Raumzeit dieses Systems genau bestimmt werden. Für die genausten Pulsare können heute Variationen in der Ankunftszeit der Pulse mit einer Genauigkeit von mehreren hundert Nanosekunden oder besser gemessen werden. Diese entspricht einer Strecke von weniger als 100 Metern. Mit dieser Genauigkeit kann die Position des Pulsars auf seiner Bahn über eine Entfernung von mehreren tausend Lichtjahren hinweg bestimmt werden. Eine solche Genauigkeit hatten Joseph Taylor und Kollegen zwar noch nicht zur Verfügung, aber dennoch gelang es ihnen über Jahre hinweg zu messen, dass die Bahn des Pulsars um rund 3,5 Meter pro Jahr schrumpft. Dieser Wert war in perfekter Übereinstimmung mit der Vorhersage der ART, dass ein derartiges System auf Grund der Abstrahlung von Gravitationswellen Energie verlieren sollte, was zur stetigen Verkleinerung der Bahn führt. Dies war der erste Beweis für die Existenz von Gravitationswellen, und so wurde die Entdeckung von PSR B1913+16 im Jahre 1993 mit dem Nobelpreis für Physik an Hulse und Taylor ausgezeichnet [3].
Dreißig Jahre lang war der „Hulse-Taylor“-Pulsar das Non-plus-ultra für Tests der ART in starken Gravitationsfeldern. Es dauerte bis zum Frühjahr 2003 bis ein System entdeckt wurde, das PSR B1913+16 in den Schatten stellen sollte. Dieses System beinhaltet einen 23-Millisekunden-Pulsar, der sich in nur 147 Minuten mit seinem Begleiter um den gemeinsamen Schwerpunkt bewegt. Die Bahnperiode war damit deutlich kürzer als die 7,75 Stunden des Hulse-Taylor-Pulsars. Die eigentliche Sensation kam aber ein paar Monate nach der Entdeckung dieses Systems, als ein weiteres pulsierendes Signal in den Daten gefunden wurde. Es gehörte zu einem 2,8-Sekunden-Pulsar, der sich um den gleichen Massenschwerpunkt bewegt. Man hatte die Radiosignale des begleitenden Neutronensterns entdeckt und damit das erste Doppelsternsystem, wo beide Sterne aktive Radiopulsare sind (Abb. 1). Das äußerst Unwahrscheinliche war eingetreten – man hatte den ersten „Doppelpulsar“ gefunden. Der offizielle Name dieses einzigartigen Pulsarpaars ist PSR J0737-3039A (für den 23-Millisekunden-Pulsar) und PSR J0737-3039B (für den 2,8-Sekunden- Pulsar), obwohl in Fachkreisen einfach nur vom „Doppelpulsar“ die Rede ist.
Der Doppelpulsar ist das derzeit beste Testlabor für die ART. In keinem System werden mehr Effekte der ART beobachtet. Doch es ist nicht nur die Anzahl und Stärke der Effekte, sondern auch die Genauigkeit, mit der sie gemessen werden können, was dieses System so einzigartig macht. Zusätzlich stellt uns dieses System gleich zwei Pulsar-Uhren zur Verfügung. Dies ist für Tests der ART unglaublich wertvoll, da dies zu sehr allgemeinen Randbedingungen führt, und somit nicht nur die ART, sondern gleichzeitig eine große Klasse alternativer Theorien vor einen harten Test stellt [4].
Der erste relativistische Effekt wurde schon am zweiten Tag nach der Entdeckung des Doppelpulsars gemessen. Man maß eine Drehung der Pulsar-Bahn mit einer Rate von 17 Grad pro Jahr. Eine derartige Präzession des Orbits ist von der ART her erwartet, und wird im Sonnensystem z. B. für Merkur gemessen. (In der Tat war es der erste Triumph der ART, dass sie die Periheldrehung des Merkur erklären konnte.) Im Vergleich zu Merkur ist die Bahndrehung beim Doppelpulsar gigantisch. Die Merkur-Bahn braucht rund 3 Millionen Jahre für eine komplette Umdrehung. Der Doppelpulsar-Orbit schafft dies gerade mal in 21 Jahren. Mit anderen Worten, in relativ wenigen Jahren erhalten wir als Beobachter einen Blick auf die Bahn des Pulsarpaars von allen Seiten, was eine Reihe neuartiger Tests ermöglicht. So kann man mit diesem System auf einzigartige Weise testen, ob es im Universum ein bevorzugtes Bezugssystem für die Gravitation gibt, was der ART widerspräche [5].
Auch wurde die bereits beim Hulse-Taylor-Pulsar gemessene Abnahme der Bahngröße aufgrund der Gravitationswellenabstrahlung nach nur 6 Jahren, mit einer Genauigkeit von 0,2% bestimmt. Darüber hinaus erlaubt der Doppelpulsar die Messung eines Effekts, der beim Hulse-Taylor-Pulsar bisher noch nicht beobachtet werden konnte. Dies verdanken wir einem glücklichen Umstand. Der Doppelpulsar ist gerade so orientiert, dass dessen Orbit fast von der Kante sichtbar ist, d. h. er steht fast senkrecht zur Himmelsebene (Neigungswinkel: 88,7 Grad). Dies bedeutet, dass bei Konjunktion die Radiosignale den Begleiter in einem Abstand von nur 20.000 km passieren, und die gekrümmte Raumzeit des Begleiters die Laufzeit seiner Radiosignale verlängert. Diese Laufzeitverzögerung, gemessen als Funktion der Orbitalphase, erlaubt einen weiteren Test der ART mit einer Genauigkeit von 0,04% (Abb. 2). Der bisher beste Test, den die ART in starken Gravitationsfeldern bestanden hat.
Auf der Suche nach den Gravitationswellen supermassereicher Schwarzer Löcher
Während Radioastronomen einen präzisen (und bis jetzt einzigen handfesten) Beweis der Existenz von Gravitationswellen geliefert haben, so ist dieser nur indirekt durch den Energieverlust gegeben. Daher gibt es weltweit erhebliche Anstrengungen, Gravitationswellen auch direkt zu detektieren. An verschiedenen Orten der Erde werden unglaublich präzise Maschinen betrieben (auch vom Albert-Einstein-Institut), die Gravitationswellen durch die relative Bewegung frei aufgehängter Spiegel nachweisen sollen - und wahrscheinlich auch demnächst können. Radiopulsare bieten aber eine andere, unabhängige Möglichkeit einen ähnlichen Nachweis bei sehr viel niedrigeren Gravitationswellenfrequenzen (Nanohertz) durchzuführen. Bei diesem Experiment werden kleine Schwankungen in der Entfernung von einer Reihe von Millisekunden-Pulsaren vermessen. Beim Passieren einer Gravitationswelle sollten hierbei charakteristische Veränderung auftreten, sodass man diese direkt erkennen und studieren kann (Abb. 3). Die hierzu benötigte Präzision verlangt die größten verfügbaren Radioteleskope. Das 100-m-Teleskop in Effelsberg bildet das „Rückgrat“ einer gemeinsamen europäischen Anstrengung, bei dem in der Hochphase des Experiments alle Großteleskope in Europa zu einem riesigen 200-m- Teleskop zusammen geschaltet werden.
Dieses 2,5 Millionen Euro Projekt mit dem Namen LEAP (Large European Array for Pulsars) wird mit Mitteln eines Advanced Grant des Europäischen Wissenschaftsrat finanziert. Sollte LEAP Erfolg haben, dann kann es sein, dass Radioastronomen das aufregende Rennen nach der ersten direkten Detektion von Gravitationswellen für sich entscheiden könnten. In diesem Fall würde der Kreis sich schließen. Pulsare würden nicht nur als Quellen von Gravitationswellen auftreten, sondern auch als deren Detektoren. Die stärksten Gravitationswellensignale im Nanohertz-Bereich werden von Systemen erwartet, die aus zwei supermassereichen (etwa 1 Milliarde Sonnenmassen) Schwarzen Löchern bestehen, die sich in Zeiträumen von wenigen Jahren umkreisen.