Gravitationstheorien

Für fast ein Jahrhundert war zum Thema Gravitation Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie (ART) der Weisheit letzter Schluss. Wir wissen allerdings, dass die ART nicht die ultimative Theorie der Gravitation sein kann, denn sie scheitert im Zentrum Schwarzer Löcher, wo sie unendlich große Dichten und Feldstärken vorhersagt. Zudem ist sie nicht mit der Quantenmechanik vereinbar. Es ist nicht klar, ab welcher Energieskala die ART die Gravitation und die Raumzeitstruktur nicht mehr gut beschreibt. Es gibt eine Reihe alternativer Gravitationstheorien, die Abweichungen von der ART auf Energieskalen vorhersagen, die im heutigen Universum vorherrschen (d.h. weit unterhalb der Planck-Skala).

Diese Theorien sagen subtile Effekte in den Bahnen von Pulsaren in Doppelsystemen voraus, speziell in sogenannten asymmetrischen Doppelsternsystemen, die aus zwei sehr unterschiedlich kompakten Körpern bestehen (z.B. Pulsare mit einem Weißen Zwerg als Partner):

  • Aussendung von Dipol-Gravitationswellen. Gravitative Dipol-Strahlung entzieht der Bahn eines Doppelsternsystems zusätzlich Energie. Die Konsequenz wäre ein stärkeres Schrumpfen der Umlaufbahn als es durch die ART vorhergesagt wird. Dieser Effekt konnte selbst mit den empfindlichsten Pulsar-Beobachtungen bislang nicht nachgewiesen werden.
  • Verletzung des starken Äquivalenzprinzips. Eine Verletzung des starken Äquivalenzprinzips hätte zur Folge, dass Massen mit unterschiedlicher gravitativer Bindungsenergie in einem externen Gravitationsfeld unterschiedlich beschleunigt werden. Bei Doppelsternsystemen, die aus einem Pulsar und einem Weißen Zwerg bestehen und sich im Gravitationsfeld der Milchstraße bewegen, wäre dies als kleine zeitlich Änderung in der Bahn-Exzentrizität sichtbar. Gewisse Aspekte des starken Äquivalenzprinzips lassen sich mit Hilfe des Pulsars PSR J0337+1715, der zusammen mit zwei Weißen Zwergen Teil eines Dreifachsystems ist, besonders gut testen.
  • Verletzung der lokalen Lorentz-Invarianz der Gravitation. In manchen alternativen Gravitationstheorien gibt es ein ausgezeichnetes Bezugssystem für die gravitative Wechselwirkung. Oft wird dieses bevorzugte Bezugssystem mittels der isotropen kosmischen Hintergrundstrahlung identifiziert. Bei Doppelsternsystemen, die sich relativ zu diesem Bezugssystem bewegen, kommt es zu Effekten, die es in der ART nicht gibt. So wäre eine kleine zeitliche Änderung der Bahnexzentrizität die Folge. Bei isolierten Pulsaren, die keinen Begleiter haben, sollte sich die Richtung der Rotationsachse langsam ändern (Spin-Präzession). Die bisher besten Limits sind konsistent mit der ART.

Die Untersuchung dieser Phänomene erfordert eine sehr viel höhere Empfindlichkeit als bisherige Experimente. Um dies zu erreichen, benötigen wir eine bessere Genauigkeit bei der Messung der Ankunftszeiten der Pulsar-Signale am Radioteleskop („pulsar timing”). Ein zukünftiger Nachweis eines dieser Effekte würde die ART widerlegen und die Physik über das bisherige Verständnis des Universums hinaus erweitern. Andererseits, je genauer die ART bestätigt wird umso mehr kann man viele Konkurrenztheorien einschränken oder gar ausschließen. Für manche dieser alternativen Gravitationstheorien liefern Pulsare die besten Tests, um Größenordnungen genauer als andere Experimente, z.B. im Sonnensystem oder mit Gravitationswellen-Detektoren. Darunter auch Theorien, die als Alternativen zur Dunklen Materie und/oder Dunklen Energie entwickelt wurden. Dies zeigt, dass genaue Prüfungen der ART nicht nur für unser Verständnis der Gravitation und der physikalischen Gesetze, sondern auch für das Wissen über die Beschaffenheit unseres Universums wichtig ist.

Was machen wir um Genauigkeit zu erhöhen?

Die Präzision in der Vermessung der Ankunftszeiten von Pulsar-Signalen ist zur Zeit durch zwei Faktoren limitiert:

  • Statistik: Pulsare sind äußerst leuchtschwache Radioquellen, daher benötigen wir die größten Radioteleskope der Welt.
  • Systematik: Da sich sowohl die Erde als auch der Pulsar bewegt, geht die Sichtlinie immer durch unterschiedliche Regionen des interstellaren Mediums mit leicht unterschiedlichen Elektronendichten. Diese unvorhersehbaren Variationen führen zu einer weiteren Unsicherheit bei der Messung der Ankunftszeit der Radiopulse.

Die Lösung beider Probleme ist die Auswertung von empfindlichen Beobachtungen in Effelsberg (z.B. mit dem  Ultra-Breitband-Empfänger („ultra broadband receiver”, UBB) und anderer Teleskope (z.B. MeerKat, Text auf Englisch).

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