Interstellare Moleküle verzweigen sich

Entdeckung von iso-Propylcyanid mit ALMA, dem “Atacama Large Millimeter/submillimeter Array“

25. September 2014

Einem Team von Wissenschaftlern vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn, der amerikanischen Cornell-Universität und der Universität zu Köln ist es zum ersten Mal gelungen, ein kohlenstoffhaltiges Molekül mit „verzweigter“ Struktur im interstellaren Raum nachzuweisen. Dieses Molekül, iso-Propylcyanid (i-C3H7CN), wurde in einer riesigen Gaswolke mit der Bezeichnung Sagittarius B2 gefunden. Das ist ein Gebiet mit heftiger Sternentstehung in unmittelbarer Nähe zum Zentrum unserer Milchstraße, das ein bevorzugtes Revier für Astronomen auf der Jagd nach neuen Molekülen darstellt. Die verzweigte Struktur der Kohlenstoffatome in dem Molekül iso-Propylcyanid unterscheidet es von allen anderen Molekülen, die bisher im interstellaren Raum entdeckt werden konnten und zu denen auch das bereits früher identifizierte Schwestermolekül normal-Propylcyanid gehört. Die Entdeckung von iso-Propylcyanid erweitert die Grenzen der Chemie von Sternentstehungsgebieten und ist ein Indiz für die Existenz von Aminosäuren, bei denen eine solch verzweigte Struktur eine Schlüsselgröße darstellt.
Die Ergebnisse werden in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „Science“ veröffentlicht.

Es wurde bereits eine ganze Reihe von unterschiedlichen Molekülen im Weltraum entdeckt. Dabei treten wasserstoffreiche und kohlenstoffhaltige (organische) Moleküle, wie sie für die Existenz von Leben auf der Erde unverzichtbar sind, bevorzugt in Gaswolken auf, in denen neue Sterne entstehen. „Es ist sehr wichtig für uns, zu verstehen, wie organische Moleküle sich bereits in frühen Phasen der Sternentstehung in diesen Gaswolken bilden“,  sagt Arnaud Belloche vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie, der Erstautor der Veröffentlichung. „Damit sind wir in der Lage, die einzelnen Phasen von der Entstehung von einfachen Molekülen zu möglicherweise Leben tragender Chemie zusammenzufügen.“

Die Suche nach Molekülen im interstellaren Raum hat bereits in den 1960er Jahren begonnen und bisher wurden ca. 180 unterschiedliche Moleküle gefunden. Jedes Molekül sendet Strahlung bei ganz bestimmten unterschiedlichen Wellenlängen und hat damit ein jeweils charakteristisches Muster oder Spektrum. Dieses Spektrum stellt somit eine Art Fingerabdruck dar, über den das Molekül durch Beobachtungen mit Radioteleskopen im Weltall identifiziert werden kann.

Bis jetzt hatten alle organischen Moleküle, die in Sternentstehungsregionen entdeckt werden konnten, etwas gemeinsam: sie setzen sich jeweils aus einem „Rückgrat“ von Kohlenstoffatomen zusammen, die entlang einer mehr oder weniger geraden Kette angeordnet sind. Das neu gefundene Molekül iso-Propylcyanid ist insofern einzigartig, als das die Anordnung seiner Kohlenstoffatome eine Verzweigung mit einem zusätzlichen Ast aufweist. „Es ist das erste Mal überhaupt, dass solch ein Molekül mit verzweigtem Rückgrat aus Kohlenstoff im interstellaren Raum gefunden werden konnte“, sagt Holger Müller, ein  Spektroskopiker an der Universität zu Köln und Ko-Autor der Veröffentlichung, der den spektralen Fingerabdruck des Moleküls im Labor vermessen hat, mit dessen Hilfe es dann auch im Weltraum nachgewiesen werden konnte.

Nicht nur die neuartige Struktur des Moleküls kommt überraschend. Es tritt auch beinahe halb so häufig auf wie sein unverzweigtes Schwestermolekül, normal-Propylcyanid (n-C3H7CN), das von diesem Forschungsteam bereits einige Jahre vorher mit dem 30-m-Radioteleskop des Institut de Radioastronomie Millimétrique (IRAM) entdeckt wurde. „Die enorme Häufigkeit von iso-Propylcyanid lässt vermuten, dass verzweigte Moleküle in der Tat die Regel und nicht etwa die Ausnahme bei Molekülen im interstellaren Raum darstellen könnten”, sagt Robin Garrod, ein Astrochemiker an der Cornell-Universität und Ko-Autor der Veröffentlichung.

Das Forscherteam nutzte das „Atacama Large Millimeter/submillimeter Array” (ALMA) in Chile, um den molekularen Gehalt der Sternentstehungsregion Sagittarius B2 (Sgr B2) zu untersuchen. Sie liegt in unmittelbarer Nähe zum Zentrum unserer Milchstraße in ca. 27000 Lichtjahren Entfernung von der Sonne und stellt eine einzigartig reichhaltige Fundgrube bei der Suche nach komplexen interstellaren Molekülen dar. „Durch die Leistungsfähigkeit von ALMA waren wir in der Lage, eine komplette spektrale Durchmusterung in Richtung von Sagittarius B2 im Wellenlängenbereich zwischen 2,7 und 3,6 mm durchzuführen“,  erklärt Arnaud Belloche. „Dabei waren Empfindlichkeit und räumliche Auflösung 10mal besser als in unseren vorhergehenden Durchmusterungen. Und wir haben nur ein Zehntel der Zeit dafür gebraucht.“ Die Wissenschaftler haben in den Daten systematisch nach den Fingerabdrücken von neuen interstellaren Molekülen gesucht. „Auf dem Hintergrund von Vorhersagen aus unserer Kölner Datenbank für Molekülspektroskopie waren wir in der Lage, Spektrallinien von beiden Unterarten des Propylcyanids zu identifizieren“, sagt Holger Müller. Insgesamt 50 Spektrallinien im ALMA-Spektrum von Sgr B2 konnten eindeutig  dem Molekül i-Propylcyanid zugeordnet werden und sogar 120 dem Molekül n-Propylcyanid. Beide Moleküle, aus jeweils 12 Einzelatomen bestehend, sind die größten Moleküle überhaupt, die bis jetzt in Sternentstehungsregionen gefunden werden konnten.

Die Forschergruppe hat mit Computermodellen die chemischen Vorgänge bei der Entstehung der in Sgr B2 gefundenen Moleküle simuliert. Ähnlich wie eine ganze Reihe weiterer komplexer organischer Moleküle bilden sich beide Arten von Propylcyanid sehr effektiv auf den Oberflächen von interstellaren Staubkörnern. „Aber“, so Robin Garrod, „die Modelle zeigen uns, dass bei Molekülen, die groß genug dazu sind, verzweigte Strukturen zu bilden,  dies sogar die vorherrschenden Formen sein könnten. Der Nachweis des nächsten Mitglieds der Alkylcyanid-Serie, n-Butylcyanid (n-C4H9CN), mit sogar drei unterschiedlich verzweigten Isomeren, würde es uns möglich machen, diese Annahme zu testen.”

„Die in Meteoriten gefundenen Aminosäuren haben eine Zusammensetzung, die darauf schließen lässt, dass sie im interstellaren Medium entstanden sind“, fügt Arnaud Belloche hinzu. „Obwohl noch keine Aminosäure direkt im interstellaren Raum nachgewiesen werden konnte, dürfte die interstellare Chemie zur Erzeugung einer großen Zahl von komplexen Molekülen beigetragen haben, die schließlich ihren Weg auf die Oberfläche von Planeten gefunden haben.“

„Die Entdeckung von iso-Propylcyanid zeigt uns, dass Aminosäuren tatsächlich im interstellaren Medium vorkommen dürften, da die verzweigte Struktur ein Schlüsselmerkmal für diese Art von Molekülen darstellt“, schließt Karl Menten, Direktor und Leiter der Forschungsabteilung Millimeter- und Submillimeterastronomie am MPIfR in Bonn. „Aminosäuren wurden bereits in Meteoriten gefunden und wir hoffen, dass wir sie bald auch im interstellaren Medium nachweisen können.“

 

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