Schwarze Witwe bittet zum Tanz im Gammalicht

Mit einer neuen Analysemethode entdecken Max-Planck-Forscher einen Millisekundenpulsar, der alle Rekorde bricht

25. Oktober 2012
Pulsare sind die kompakten Überreste von Explosionen massereicher Sterne. Manche von ihnen drehen sich mehrere hundert Mal innerhalb einer Sekunde um die eigene Achse und schicken dabei Strahlungsbündel ins All. Diese Millisekundenpulsare ließen sich bisher nur durch ihre Radiowellen aufspüren. Nun haben Forscher des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut, AEI) in Hannover mit Unterstützung des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie erstmals einen Millisekundenpulsar allein anhand seiner gepulsten Gammastrahlung entdeckt. Entscheidend für den Erfolg war eine neue, am AEI entwickelte Analysemethode. Der Pulsar besitzt einen Begleitstern, den er in engem Kreistanz vernichtet – Astronomen bezeichnen ihn daher als Schwarze Witwe.

Schon im Jahr 1994 waren Forscher im Sternbild Zentaur auf eine Quelle intensiver Gammastrahlung gestoßen. Man vermutete zwar, dass ein Pulsar dahinter steckt. Aber erst jetzt hat das Team um Holger Pletsch vom Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik das Rätsel gelöst und den Millisekunden-Gammapulsar PSR J1311-3430 als Verursacher identifiziert. Dabei half den Wissenschaftlern eine neue Datenanalysemethode, denn die rasend schnell rotierenden Pulsare lassen sich extrem schwer finden.

Um einen Gammapulsar eindeutig nachzuweisen, müssen Astronomen mehrere Eigenschaften des Himmelskörpers sehr genau kennen. Hierzu zählen etwa seine Position, die Drehfrequenz sowie deren zeitliche Änderung. Gehört der Pulsar zu einem Doppelsternsystem, ist es noch komplizierter: Es kommen mindestens drei Bahnparameter hinzu, die ebenfalls bestimmt werden müssen.

Im Fall von PSR J1311-3430 hatten Astronomen den Begleitstern – er erhitzt sich durch die Strahlung des Pulsars – bereits mit optischen Methoden beobachtet. Auf diese Weise konnten sie die Bahnparameter des Doppelsternsystems teilweise abschätzen und die Position des Pulsars eingrenzen.

„Wir haben eine besonders effiziente Methode entwickelt, um die Gammadaten des NASA-Satelliten Fermi nach Millisekundenpulsaren zu durchsuchen, auch in Doppelsternsystemen. Nur so ließen sich weite Parameterbereiche sehr fein durchkämmen“, sagt Holger Pletsch, Erstautor des in Science erschienenen Artikels. „Das neue Verfahren versetzt uns erstmals in die Lage, quasi blind nach Gammapulsaren zu suchen – bis hin zu sehr hohen Rotationsfrequenzen.“

Die Wissenschaftler analysierten die Fermi-Messungen auf dem Computercluster Atlas am AEI. „Wir haben Daten untersucht, die der Gammasatellit über einen Zeitraum von vier Jahren gesammelt hat. Bereits kurz nach Beginn der Analyse zeigte sich ein eindeutiges Signal in den Ergebnissen. Und was wir sahen, war sehr aufregend“, sagt Pletsch.

PSR J1311-3430 dreht sich rund 390-mal in der Sekunde um die eigene Achse und sendet dabei strahlförmig Gammaphotonen ins All. Etwa bei jeder millionsten Umdrehung erreicht eines dieser Strahlungsquanten den Detektor an Bord von Fermi. Das Gammasignal verrät den Astronomen aber auch vieles über den Begleiter des Pulsars: Die Bewegung im Doppelsternsystem moduliert die Ankunftszeiten der Photonen und erlaubt Rückschlüsse auf den Partnerstern. „Das Begleitobjekt ist klein und außergewöhnlich dicht“, sagt AEI-Direktor Bruce Allen. „Es hat mindestens die achtfache Masse des Planeten Jupiter, weist aber nur maximal 60 Prozent seines Radius auf.“

Aus diesen Informationen berechneten die Forscher die Dichte des Begleiters: Seine Materie ist im Mittel rund 30-mal enger gepackt als die der Sonne. Offenbar ist der Begleiter der kompakte Überrest eines Sterns, der bereits früher den Pulsar umrundete. Im Laufe seiner Entwicklung verlor er Materie an den Pulsar und beschleunigte dessen Drehung. Dabei kamen sich Pulsar und Begleiter immer näher.

„Heute wird der zurückgebliebene Sternkern, der vermutlich vor allem aus Helium besteht, von der Strahlung des Pulsars sehr stark erhitzt und buchstäblich verdampft“, sagt Holger Pletsch. Astronomen bezeichnen einen solchen Pulsar in Anlehnung an eine Spinnenart, bei der das Weibchen das kleinere Männchen nach der Paarung ins Jenseits befördert, als Schwarze Witwe. In ferner Zukunft könnte  PSR J1311-3430 seinen Begleiter womöglich vollständig verdampfen und dann alleine durchs All ziehen.

Doch damit nicht genug: „Unsere Entdeckung ist nicht nur eine Premiere, sondern stellt zudem gleich mehrere neue Rekorde auf“, erklärt Bruce Allen. Derzeit umrunden die Partner den gemeinsamen Schwerpunkt in nur 93 Minuten auf einer fast perfekt kreisförmigen Bahn. Das ist die kürzeste bekannte Bahnperiode aller Pulsare in Doppelsternsystemen. Und mit einem Abstand vom lediglich 1,4-Fachen der Erde-Mond-Entfernung ist es das engste bisher bekannte mit einen Pulsar. Der rast mit mindestens 13.000 Kilometern pro Stunde auf seiner Kreisbahn durchs All. Sein leichter Begleiter ist noch schneller unterwegs und bringt es sogar auf bis zu 2,8 Millionen Kilometer in der Stunde.

Holger Pletsch und seine Kollegen nahmen auch ältere Beobachtungen mit dem Radioteleskop in Green Bank in West Virginia unter die Lupe, konnten den flinken Pulsar hier jedoch nicht aufspüren. „Offenbar schirmt die vom Begleiter abgedampfte Materie einen Großteil der Radiowellen ab und macht den Pulsar für Radioteleskope möglicherweise sogar unsichtbar“, sagt Lucas Guillemot vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn, Mitautor der Veröffentlichung. Die Wissenschaftler planen bereits weitere Beobachtungen bei höheren Radiofrequenzen. So wollen sie unter anderem die genaue Entfernung des Objekts von der Erde ermitteln.

Systeme wie der nun entdeckte Rekordpulsar bieten den Astronomen neue Einblicke in die bisher nur unvollständig verstandene Entwicklung sehr enger Doppelsternsysteme. PSR J1311-3430 könnte außerdem neues Licht auf die Entstehung der Gamma- und Radiostrahlung im starken Magnetfeld der Pulsare werfen. Möglicherweise ist er auch nur die Spitze des Eisbergs: Hinter weiteren nicht identifizierten Gammaquellen könnten sich ähnlich außergewöhnliche Systeme verbergen. 30 Jahre nach der Entdeckung des ersten Millisekundenpulsars im Radiobereich haben die Forscher am AEI mit ihrer Analysemethode nun eine neue Tür geöffnet, um diese schwer auffindbaren Himmelskörper leichter zu identifizieren.

KNI / ME / HOR

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