Ein sprunghafter Pulsar

Max-Planck-Wissenschaftler entdecken jungen und hochenergetischen Neutronenstern mit außergewöhnlich unruhiger Rotation

24. Juli 2012
Pulsare sind kosmische Leuchttürme der Superlative. Die kompakten Neutronensterne drehen sich mehrmals pro Sekunde um die eigene Achse und senden dabei Radio- und Gammastrahlung ins All. Mithilfe raffinierter Datenanalyse haben Forscher des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut/AEI, Hannover) und des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie in internationaler Kooperation nun einen ganz besonderen Gammapulsar aus den Daten des NASA-Weltraumobservatoriums Fermi gefischt: Das Objekt mit der Bezeichnung PSR J1838-0537 ist nicht im Radiobereich sichtbar, sehr jung und erfuhr während der Beobachtungszeit den bisher stärksten bei reinen Gammapulsaren beobachteten Ruck in seiner Drehbewegung.

Reine Gammapulsare lassen sich sehr schwer identifizieren, denn ihre Eigenschaften wie etwa die Rotationsperiode und deren zeitliche Änderung sind unbekannt. Und auch ihre exakte Position am Himmel können die Astronomen aus den ursprünglichen Fermi-Beobachtungen nur näherungsweise bestimmen. Sie müssen daher die Existenz eines Pulsarsignals bei einer Vielzahl von Kombinationen dieser Eigenschaften in einer rechenzeitaufwändigen Blindsuche überprüfen. Eine versteckte Periodizität in den Ankunftszeiten der Gammaphotonen lässt sich so nur mit großem Aufwand aufspüren.

Auch Hochleistungs-Rechnersysteme geraten dabei schnell an ihre Grenzen. Doch die Forscher nutzten ursprünglich zur Analyse von Gravitationswellendaten entwickelte Algorithmen, um die Fermi-Daten besonders effizient zu durchsuchen. "Mithilfe neuer optimaler Suchmethoden und des Computerclusters ATLAS am Albert-Einstein-Institut Hannover konnten wir viele bislang unentdeckte Signale aufspüren", sagt Bruce Allen, Direktor am AEI. So verkündete Allens Team bereits im November 2011 die Entdeckung von neun neuen Fermi-Gammapulsaren, die allen vorherigen Suchen entgangen waren. Nun machten die Wissenschaftler mit derselben Methode einen weiteren außergewöhnlichen Fund.

Der Name des neu entdeckten Pulsars - J1838-0537 - ergibt sich aus seinen Himmelskoordinaten. "Der Pulsar ist mit einem Alter von 5000 Jahren sehr jung. Er dreht sich rund siebenmal pro Sekunde um die eigene Achse und befindet sich am Himmel in Richtung des Sternbilds Schild", sagt Holger Pletsch, Wissenschaftler in Allens Gruppe und Erstautor der jetzt veröffentlichten Studie. "Nach der Entdeckung waren wir sehr überrascht, dass der Pulsar zuerst nur bis September 2009 sichtbar war. Danach schien er plötzlich zu verschwinden."

Erst mit einer aufwändigen Folgeanalyse kam ein internationales Wissenschaftlerteam um Pletsch dem Geheimnis von Pulsar J1838-0537 auf die Spur: Er verschwand nicht, sondern erfuhr einen Ruck (englisch glitch), nach dem er sich plötzlich um 38 Millionstel Hertz schneller drehte als zuvor. "Diese Differenz mag verschwindend klein erscheinen, doch es ist der größte jemals bei einem reinen Gammapulsar gemessene Glitch", erklärt Allen. Und dieses Verhalten hat Folgen.

"Bereits nach acht Stunden geht dadurch in unserer Zählung eine komplette Umdrehung des Pulsars verloren und wir können nicht mehr feststellen, zu welcher Rotationsphase die Gammaphotonen den Detektor an Bord von Fermi erreichten", ergänzt Pletsch. Das Blinken des Neutronensterns werde auf diese Weise praktisch unsichtbar. Berücksichtigen die Forscher den Glitch und korrigieren die Rotationsänderung, taucht der Pulsar erneut in den Messdaten auf.

Die genaue Ursache der bei vielen jungen Pulsaren beobachteten Glitches ist bislang unbekannt. Astronomen ziehen Beben der Neutronensternkruste oder Wechselwirkungen des suprafluiden Sterninneren mit der Kruste als mögliche Erklärungen heran. "Eine große Zahl von vor allem starken Glitches bei Pulsaren zu erfassen, bietet eine Möglichkeit, mehr über den inneren Aufbau dieser kompakten Himmelskörper zu erfahren", sagt Lucas Guillemot, vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie (MPIfR) in Bonn, der Zweitautor der Studie. "Das ist ein schönes Beispiel für die Zusammenarbeit zweier Max-Planck-Institute mit einander ergänzenden Forschungsschwerpunkten", so Michael Kramer, Direktor am MPIfR und Leiter der Forschungsgruppe "Radioastronomische Fundamentalphysik".

Nach der Entdeckung in den Daten des Fermi-Satelliten richteten die Forscher das Radioteleskop bei Green Bank im US-amerikanischen West Virginia auf die Himmelsposition des Gammapulsars. In einer fast zweistündigen Beobachtung sowie bei der Analyse einer weiteren einstündigen älteren Beobachtung der Quelle fanden sich keine Anzeichen von Pulsationen im Radiobereich: J1838-0537 ist demnach mit großer Wahrscheinlichkeit ein reiner Gammapulsar.

Auffällige Übereinstimmungen gab es hingegen mit Beobachtungen des High Energy Stereoscopic System (H.E.S.S.) in Namibia, das nach hochenergetischer Gammastrahlung aus den Tiefen des Alls sucht. Astronomen fanden in einer Durchmusterung mit H.E.S.S. nahe dem nun entdeckten Pulsar eine ausgedehnte Quelle solcher Strahlung, konnten deren Natur bisher nicht klären.

Die Entdeckung des Pulsars legt nahe, dass es sich bei der H.E.S.S.-Quelle um einen Pulsarwind-Nebel handelt. Dieser wird von fast lichtschnellen Teilchen erzeugt, die der Pulsar in seinem extrem starken Magnetfeld beschleunigt. Da nun der genaue Ort des Pulsars bekannt ist, kann H.E.S.S. dies zukünftig berücksichtigen und eine höhere Messgenauigkeit als zuvor in dieser Himmelsregion erreichen.

Der ATLAS-Computercluster des Albert-Einstein-Instituts hat damit bereits bei der Entdeckung des zehnten zuvor unbekannten Gammapulsars geholfen, doch Allens Team hat inzwischen weitere Rechenkapazitäten mobilisiert. "Seit August 2011 läuft unsere Suche auch auf dem verteilten Rechenprojekt Einstein@Home, das eine vielfach höhere Rechenkraft als der ATLAS-Cluster hat. Wir sind sehr optimistisch, weitere außergewöhnliche Gammapulsare in den Fermi-Daten aufzuspüren", sagt Bruce Allen. Ziel der erweiterten Suche ist unter anderem die Entdeckung des ersten reinen Gammapulsars mit einer Rotationsperiode im Millisekundenbereich.

Pulsare: Diese kosmischen Leuchtfeuer sind kompakte Neutronensterne, geboren in Supernova-Explosionen, die schnell und gleichmäßig um ihre Achse rotieren. Durch ihr intensives Magnetfeld strahlen sie kegelförmig Radiowellen oder Gammaphotonen ab. Ihre Rotation schwenkt die Kegel wie den Scheinwerfer eines Leuchtturms durchs All. Zielt der Neutronenstern dabei in Richtung Erde, so ist er als Pulsar sichtbar. Nicht immer zeigt er sich gleichzeitig in mehreren Spektralbereichen, in einigen Fällen messen die Wissenschaftler nur das Blinken als Radiopulsar, in anderen lassen sich lediglich die periodischen Ankunftszeiten von Gammaphotonen registrieren. Solche Pulsare werden als "reine" Gammapulsare bezeichnet. Vermutete Ursache ist die unterschiedliche Lage der Abstrahlungsgebiete im extrem starken Magnetfeld des Neutronensterns.

Das Verhalten der Pulsare gibt weitere Rätsel auf: Ihre gleichmäßige Rotation ist in jungen Jahren noch unruhig und von plötzlichen, ruckartigen Beschleunigungen (englisch: glitches) gestört. Allerdings zeigen nur etwa 5% der Pulsare dieses Verhalten. Bei einem solchen Glitch dreht sich der Neutronenstern unvermittelt schneller, bremst dann langsam wieder ab und kehrt nach einigen Wochen zur alten Rotationsperiode zurück. Warum, ist bislang unbekannt. Doch genaue Messungen dieser ruckartigen Bewegungen eröffnen Einblicke in den Aufbau der kompakten Himmelskörper.

Bisher fanden Astronomen die meisten Pulsare im Radiowellenbereich, doch dank des NASA-Satelliten Fermi spüren sie zunehmend viele dieser Himmelskörper anhand ihrer hochenergetischen Gammastrahlen auf. Fermi beobachtet seit 2008 mit seinem Large Area Telescope (LAT) das Universum im Gammabereich und hat dabei hunderte neuer Quellen entdeckt, von denen viele vermutlich bislang unerkannte Pulsare sind.

Datenanalyse: Bei der Analyse von Daten der Gravitationswellendetektoren sind die Wissenschaftler auf besonders effektive Algorithmen und ausgesprochen hohe Rechenkapazitäten angewiesen. Denn ein etwaiges Gravitationswellensignal wäre bei der derzeitigen Messgenauigkeit kaum stärker als das Hintergrundrauschen.

Innerhalb der LIGO-Virgo Science Collaboration (LVC), der auch der deutsch-britische Detektor GEO600 in Ruthe bei Hannover angehört, werden alle Detektordaten gemeinsam gesammelt, archiviert und für die Analyse bereitgestellt. Die Daten werden derzeit an den verschiedenen Clusterstandorten in mehrfacher Ausfertigung aufbewahrt. Die gespeicherte Datenmenge beläuft sich auf rund 500 Terabyte. Bei laufendem Detektorbetrieb kommt pro Sekunde ein Megabyte an Daten hinzu. Der größte und leistungsfähigste Rechencluster ist ATLAS am AEI in Hannover. Er verfügt über eine Spitzen-Rechenleistung von 64 TFLOP/s (Gleitkomma-Operationen pro Sekunde).

Die Datenauswertung wird in mehreren Schritten vorgenommen. Zunächst suchen die Astrophysiker großflächig den Himmel nach Signalen ab. Zeigt sich in einer Richtung eine Auffälligkeit, so untersuchen sie diese Umgebung mit einem engmaschigeren und damit rechenzeitaufwändigeren Algorithmus. Bestätigt sich das Signal, analysieren die Wissenschaftler dessen zeitlichen Verlauf und überprüfen etwa, ob es sich einer bestimmten Pulsarperiode zuordnen lässt. Den Algorithmus zur Suche nach kontinuierlichen Quellen von Gravitationswellen hatten die Hannoveraner Wissenschaftler modifiziert und erfolgreich für die Suche nach Gammapulsaren in Fermi-Daten verwendet.

Einstein@Home: Das Projekt für verteiltes Rechnen verbindet PC-Nutzer aus der ganzen Welt, die freiwillig brachliegende Rechenzeit ihrer Heim- und Bürocomputer zur Verfügung stellen. Mit mehr als 320 000 Teilnehmern ist es eines der größten Projekte dieser Art. Wissenschaftlicher Träger sind das Center for Gravitation and Cosmology an der University of Wisconsin-Milwaukee und das Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut, Hannover) mit finanzieller Unterstützung der National Science Foundation und der Max-Planck-Gesellschaft. Seit 2005 durchsucht Einstein@Home Daten der Gravitationswellendetektoren innerhalb der LIGO-Virgo-Science Collaboration (LVC) nach Gravitationswellen von unbekannten, schnell rotierenden Neutronensternen.

Ab März 2009 widmete sich Einstein@Home auch der Suche nach Signalen von Radiopulsaren in Beobachtungen des Arecibo Observatoriums in Puerto Rico und des Parkes Observatory in Australien. Seit der ersten Entdeckung eines Radio-Pulsars im August 2010 mit Einstein@Home hat das weltweite Computernetzwerk insgesamt mehr als 40 Radiopulsare aus den Daten gefischt. Neu hinzugekommen ist im August 2011 ein Projekt zur Suche nach Gammapulsaren in den Daten des Fermi-Satelliten, das unter anderem nach dem ersten Millisekundenpulsar sucht, der sich nur im Gammabereich zeigt.

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