Galaktische Vermessungstechniker

Entfernung zum Perseus-Spiralarm wesentlich kleiner als bisher angenommen

14. Dezember 2005
Der Perseus-Spiralarm, der nächstgelegene Spiralarm der Milchstraße außerhalb der Umlaufbahn der Sonne, ist nur halb so weit entfernt als bisher angenommen. Einem internationalen Team von Astronomen unter Mitwirkung von Wissenschaftlern am Max-Planck-Instituts für Radioastronomie gelang kürzlich die mit Abstand genaueste Entfernungsbestimmung des Perseus-Spiralarms. Sie wurde durch Messungen mit einem ausgedehnten Netzwerk von Radioteleskopen in den USA ermöglicht (dem "Very Long Baseline Array" oder VLBA). Damit wurde das Restmaterial von der Geburt eines eben erst entstandenen Sterns, W3OH, beobachtet, das in den für Methylalkohol (CH3OH) typischen Frequenzen besonders hell strahlt.

Erstautor der Veröffentlichung ist Dr. Xu Ye, ein Astronom am Shanghai-Observatorium, der zur Zeit am Max-Planck-Institut für Radioastronomie arbeitet. "Wir haben die Entfernung zum Perseus-Arm mit der einfachsten und direktesten Methode bestimmt, die es gibt. Letztendlich ist das die gleiche Technik, die auch Landvermesser seit dem ersten Einsatz durch Gauß verwenden - sie wird als Triangulation bezeichnet", sagt er dazu. Das Verfahren läuft wie folgt: die Erde ändert ihre Position beim jährlichen Lauf um die Sonne. Durch die Messung der scheinbaren Positionsänderung des Himmelsobjekts kann dessen Entfernung durch einfache Winkelrechnung bestimmt werden. Die von den Wissenschaftlern herausgefundene Entfernung liegt bei gut 6000 Lichtjahren - und das auf 2% genau (der exakte Wert beträgt 6357±130 Lichtjahre).

Das neue Ergebnis löst ein schon lange bekanntes Problem bzgl. der Entfernung zu diesem Spiralarm der Milchstraße. Unterschiedliche Methoden der Entfernungsbestimmung hatten Ergebnisse erbracht, die sich um mehr als einen Faktor 2 voneinander unterscheiden. Prof. Karl Menten, Mitglied des Forschungsteams, ist begeistert: "Das bestätigt die Entfernungsangaben für W3OH, die aus den scheinbaren Leuchtkräften junger Sterne abgeleitet wurden, stimmt aber nicht mit den Ergebnissen aus Modellen für die Rotation der Milchstraße überein. Die Ursache dieser Diskrepanz dürfte in den unerwartet hohen Eigenbewegungen junger Sterne im Perseus-Spiralarm liegen."

Die Astronomen haben nun herausgefunden, daß der junge Stern W3OH sich nicht in einer kreisförmigen Umlaufbahn um das Zentrum unserer Milchstraße bewegt, sondern um gut 10% davon abweicht. Er bewegt sich langsamer und "fällt" sozusagen Richtung Galaktisches Zentrum im Vergleich zu Sternen mit kreisförmigen Umlaufbahnen. Zheng Xing-Wu von der Universität Nanjing in China, ebenfalls Ko-Autor der neuen Veröffentlichung, weist darauf hin, daß "die einfachste Erklärung darin liegt, daß die Gaswolke, aus der sich der Stern gebildet hat, zusätzlich von einer Masse angezogen wird, die mit Materie im Perseus-Spiralarm assoziiert ist."

"Untersuchungen wie unsere sind nur der erste Schritt hin zu einer genauen Kartierung der Milchstraße," sagt Dr. Mark Reid vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics (CfA). "Wir haben damit gezeigt, daß wir mit den von uns benutzten Radioteleskopen des "Very Long Baseline Array" Entfernungen mit bislang unerreichter Genauigkeit bestimmen können - nahezu 100 Mal genauer als bisher möglich." Um einen Eindruck von der Präzision dieser Messungen zu vermitteln, stelle man sich einen Menschen auf dem Mond vor, der eine Taschenlampe in der ausgestreckten Hand hält. Und diese Person soll nun, ähnlich wie ein Eiskunstläufer, eine Pirouette drehen, aber nur mit einer einzigen Umdrehung pro Jahr. Die neue Untersuchung entspricht der Messung des Lichtkreises, den die Lampe beschreibt, mit einer Genauigkeit vergleichbar dem Durchmesser der Lampe.

Das hier angewandte Beobachtungsverfahren wird als "Very Long Baseline Interferometry" (VLBI) bezeichnet. Dazu werden viele Einzelteleskope verbunden, um "synthetisch" die Winkelauflösung eines außergewöhnlich großen Teleskops von nahezu Erddurchmesser zu erreichen. Die Teleskope des VLBA-Netzwerks reichen von Hawaii über das Festland der USA bis zu den Virgin Islands in dern Karibik und überspannen damit ca. 8000 km. Das VLBA ermöglicht zwar eine extrem hohe Winkelauflösung, erfordert aber auch extrem leuchtstarke und kompakte Radioquellen wie z.B. Maser (Maser - "Microwave Amplification by Stimulated Emission of Radiation" - sind dem Laser vergleichbare Verstärker von Radiowellen). Neben dem Wassermolekül H2O ist Methylalkohol (CH3OH) das am weitesten verbreitete Masermolekül in Sternentstehungsgebieten. Die für das vorliegende Experiment genutzte Maserlinie bei einer Frequenz von 12,2 GHz wurde von Prof. Menten im Lauf seiner Dissertation in den 1980er Jahren entdeckt. 1988 führte er dann in Zusammenarbeit mit Dr. Reid die ersten hochaufgelösten VLBI-Beobachtungen von Methanol-Masern durch, bereits mit W3OH als Zielobjekt. "Schon damals haben wir von Beobachtungen wie der jetzt vorliegenden geträumt", sagt er.

Ähnliche VLBA-Beobachtungen mit hoher Auflösung wurden auch mit Wassermasern in W3OH durchgeführt. Das Projekt, das Kazuya Hachisuka vom MPI für Radioastronomie leitete, erzielte einen vergleichbaren Wert für die Entfernung von W3OH. "Eine großartige Bestätigung!", so Hachisuka. Diesem Team gehören ebenfalls Reid und Menten sowie eine Anzahl von japanischen Wissenschaftlern an.

Die vorliegenden Beobachtungen sind lediglich der Beginn eines sehr umfassenden Forschungsprojekts, das Reid und Menten begonnen haben, um Entfernungen und Eigenbewegungen von Methanolmasern in der gesamten Milchstraße zu erfassen. Für dieses Projekt wurde bereits ein großer Block von Beobachtungszeit mit dem VLBA genehmigt. Neben der Eigenbewegung am Himmel kann mit denselben Messungen auch die Bewegung der Sterne in Richtung auf den Beobachter oder von ihm weg (Radialgeschwindigkeit) aus der Doppler-Verschiebung der Methanol-Spektrallinien abgeleitet werden. Damit hat man die vollständige dreidimensionale Bewegung einer großen Anzahl von Objekten in der Milchstraße. Sie ermöglicht nicht nur Aussagen über die Rotation der Milchstraße selbst, sondern auch über die Verteilung von Dunkler Materie, die unsere Galaxis umgeben soll.

Während die Methode - normale Trigonometrie - recht einfach erscheint, erfordert die praktische Umsetzung ein sehr eingehendes Verständnis der VLBA-Beobachtungen unter Einbeziehung sorgfältiger Korrekturen für den Einfluß der Erdatmosphäre auf die eintreffenden Radiowellen. Dr. Reid hat diese Probleme viele Jahre seines Lebens erforscht, so daß nunmehr Beobachtungsprogramme wie das vorliegende realisiert werden können.

Dieses internationale Forschungsprojekt wurde durch einen Forschungspreis der Alexander-von-Humboldt-Stiftung für Dr. Mark Reid unterstützt. Die Kooperation mit dem Shanghai Astronomical Observatory wurde durch ein Gemeinschaftsprogramm der Max-Planck-Gesellschaft und der Chinesischen Akademie der Wissenschaften sowie das Besucherprogramm der Smithsonian Institution in den USA ermöglicht.

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